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#Ein Ort, nirgends

Ein Ort, nirgends

Ein bisschen Wind ist immer auf Neuwerk, jener winzigen Insel vor Cuxhaven, die so klein ist, dass nicht einmal ein 18-Loch-Golfplatz auf ihr Platz fände. Nachts, wenn die Tagesgäste verschwunden sind, ist es vollkommen ruhig auf den drei Quadratkilometern. Höchstens hört man mal ein „Plopp“. Dann ist ein Bauer auf dem Gartenschachfeld des Hotels umgefallen, von leichter Brise erfasst.

37 Menschen wohnen auf dem grünen Flecken vor der Elb- und Wesermündung. Die meisten leben vom Tourismus. Fünf Gästehäuser gibt es insgesamt, dazu ein Wattenmeer-Haus, ein bisschen Landwirtschaft, ein bisschen Hafenlogistik. Neuwerk und das umliegende Wattenmeer gehören zu Hamburg, die paar Inseltrecker fahren allerdings mit Pinneberger Kennzeichen. Manchmal bringen vermögende Pferdebesitzer ihre Tiere her, damit sie in der reinen Nordseeluft von ihren Lungenleiden genesen.

So nah, dass man sofort loslaufen möchte

Diese Insel ist so anders und so nah, dass man am liebsten sofort loslaufen möchte zu ihr. Die Verlockung beginnt bereits an der Cuxhavener Kugelbake und geht weiter zum Strand von Döse, wo die riesigen Containerschiffe in der Elbmündung bald keine Sensation mehr sind. Hier sehen wir sie wirklich: Wie eine Fata Morgana flirren zwei ferne Baumreihen am Horizont, dazwischen ein Turm. Es sieht aus wie ein kleiner Mont-Saint-Michel. Doch halt! Man kann nicht einfach so rauslaufen ins Watt, auch wenn es noch so verführerisch daliegt. Der Mond hat am Meeresteppich nur kurz gezogen. Bald laufen die Priele wieder voll, dann ist Flut. Wenn alles wieder so ist, wie es war, ist Hochwasser.

Leerungszeiten sind auf Neuwerk gezeitenabhängig.


Leerungszeiten sind auf Neuwerk gezeitenabhängig.
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Bild: Christoph Moeskes

Tschelp. Dschubb. Unsere Schuhe quetschen den Schlick wie in einer Donald-Duck-Geschichte. Nun sind wir doch unterwegs zur Insel. Julia von „Wunderwelt Watt“ führt uns, gemeinsam mit Hund Ben. Punkt elf haben wir das feste Land in Sahlenburg verlassen, keine Minute später. Um 13 Uhr ist heute Niedrigwasser. Während der knapp vierstündigen Wanderung laufen wir also zur Hälfte in den Tiefststand hinein und zur Hälfte wieder heraus. Hinter uns verschwindet Sahlenburg, vor uns entfernen sich andere Gruppen. Bald scheinen wir 20 Wattwanderer allein unter dem bleistiftgrauen Himmel. Wir bleiben zusammen. Julia bleibt stehen. Es gluckert im Schlick, Bläschen steigen auf – das Werk von Bäumchenröhrenwürmern, die in den feuchten Rinnen weiterhin Nahrung filtern. Wir gehen weiter. Bis Neuwerk ist es noch weit, insgesamt rund zwölf Kilometer.

„O“, einfach nur „O“. So hieß die Insel in vordenklicher Zeit. Manchmal auch „Og“, wie am Ende von „Langeoog“ oder „Spiekeroog“. Um 1300 nahm Hamburg Besitz von O und baute einen Turm, das „Nige Wark“, das „Neue Werk“. Das fast 45 Meter hohe, steinerne Gebäude diente vornehmlich als Wehrturm. Schon damals war vor der Elbmündung die halbe Welt mit ihren Waren unterwegs. Doch das Revier ist tückisch, bis heute wechseln Sandbänke und Strömungen. Piraten und Strandräuber konnten damals mit fetter Beute rechnen.

Glück ist knietief

Stau am ersten großen Priel. Eine Kolonne gelber Pferdekutschen quert das Wasser. Die Menschen sind in Decken gehüllt, verharren regungslos. Es sieht aus wie in einem vorsintflutlichen Stummfilm. Alsbald erscheint eine Reiterschar auf schwarzen Pferden. Dann sind wir dran mit unseren Turnschuhen, und es sieht wieder aus wie 2020.

Wir haben Glück, das Wasser ist heute nur knietief. Seit ein paar Jahren wird das immer seltener, Pferd und Mensch kann der Priel dann bis zur Schulter reichen. Umweltschützer führen das veränderte Strömungsverhalten auf den Langendamm vor Cuxhafen zurück. Der mache zwar die Elbrinne sicherer, die beiden Hauptpriele vor Neuwerk aber immer unberechenbarer. Schon jetzt ist die Strömung reißend, wir müssen uns an Eisenstangen festhalten.

Weiter, immer weiter. Wir sind Punkte in einer unermesslichen Welt aus Grau. Olivengrau das Watt. Marinetarnblaugrau der Himmel. Grau sind auch die Rettungsbaken. Die stählernen Käfige auf Pfählen wurden aufgestellt, nachdem 1979 eine Lehrerin mit zwölf Schülern hier im Watt ertrank. Sie waren plötzlich in Seenebel geraten. Wenn er kommt, sieht man überhaupt nichts mehr.

Grüne Insel im Wattenmeer: Neuwerk


Grüne Insel im Wattenmeer: Neuwerk
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Bild: Christoph Moeskes

Dann endlich, nach dreieinhalb Stunden, das erste Grün. Neuwerk ist keine Täuschung mehr. Wir waschen Schuhe, Strümpfe und Hosen von den Wattspritzern und verabschieden uns von Julia und den anderen. Am Abend wird die Gruppe mit der Fähre zurück aufs Festland fahren – wie die meisten der über 100 000 Gäste pro Jahr, welche die Insel in einem kombinierten Umlauf aus Schifffahrt, Wattwanderung oder Wattwagenfahrt besuchen.

Danach gehört Neuwerk wieder den Neuwerkern. Und den beiden selbstbewussten Hamburgern, die am Deich eine Zigarre rauchen. Und der jungen Frau, die auf dem sechs Kilometer langen Außenweg einmal um die Insel joggt. Und ein kleines bisschen auch uns. Morgen Vormittag müssen wir unbedingt eine Partie Schach spielen.

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