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#Ein Rücktritt, der alles ändert

Ein Rücktritt, der alles ändert

An diesem Freitag sollte Lodewijk Asscher, der Partei- und Fraktionsvorsitzende der niederländischen Sozialdemokraten, von einem Parteitag zum Spitzenkandidaten der Arbeitspartei (PvdA) gekürt werden. Doch am Donnerstagmorgen verkündete der 46 Jahre alte Politiker seinen Rückzug aus der Politik – und stürzte damit nicht nur seine Partei in der Opposition, sondern auch die gesamte Regierung in eine Krise. Denn die trägt Mitverantwortung für den Skandal, der Asscher zum Verhängnis wurde und das Land aufwühlt. Drei Monate vor der Parlamentswahl am 17. März werden die politischen Verhältnisse so durcheinandergewirbelt. Ein Misstrauensvotum oder ein vorauseilender Rücktritt der Regierung am Freitag erschienen möglich.

Thomas Gutschker

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

Asscher wurde von seiner Vergangenheit in der Regierung eingeholt. Als Arbeits- und Sozialminister von 2012 bis 2017 stand er im Zentrum eines Skandals um Beihilfen für die Kinderbetreuung, die von den Behörden zu Unrecht zurückgefordert wurden. Nach Schätzungen waren zwischen 2014 und 2019 etwa 20000 Familien davon betroffen. Insbesondere Eltern mit geringem Einkommen wurden in Existenznöte getrieben und verloren darüber ihre Arbeit oder ihre Wohnung. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss kam vor Weihnachten zu einem vernichtenden Urteil. Vielen Eltern sei „beispiellose Ungerechtigkeit“ widerfahren, Grundprinzipien des Rechtsstaats seien verletzt worden. Die Verantwortung dafür liege hauptsächlich bei der damaligen Regierung, die ein System gegen Sozialbetrug errichtet habe, das dem Einzelfall nicht gerecht geworden sei. Beschwerden seien allzu oft ignoriert worden.

Dieser Vorwurf traf besonders Asscher, der früh Hinweise hatte, ihnen aber nicht nachgegangen war. In seiner Rücktrittserklärung sagte er, er habe nicht gewusst, „dass das Finanzamt eine ungesetzliche Jagd auf Tausende Familien eröffnet hatte“. Seine Partei trete für eine gerechtere Zukunft ein, doch werde dies von der Diskussion über seine Rolle in dem Skandal überlagert. In der jüngsten Umfrage waren die Sozialdemokraten auf 11 Sitze (von 150) in der Abgeordnetenkammer zurückgefallen; nicht mehr weit entfernt von ihrem historisch schwachen Ergebnis in der Wahl vor vier Jahren. Asscher wollte die Partei aus der Opposition heraus wieder aufrichten. Wer ihm als Spitzenkandidat folgt, ist offen. Der Nominierungsparteitag wurde verschoben, die gesamte auf Asscher zugeschnittene Kampagne muss neu geplant werden. Manche Hoffnungen richten sich auf Frans Timmermans. Mit ihm als Spitzenkandidaten war die Arbeitspartei in der Europawahl 2019 stärkste Kraft geworden. Allerdings müsste Timmermans seinen gutdotierten Posten als Vizepräsident der EU-Kommission aufgeben.

Rechtspopulist Wilders will Situation ausnutzen

Der Rücktritt setzt die gesamte gegenwärtige Regierung unter Druck. Mehrere Oppositionsparteien hatten als Konsequenz aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses ihren Rücktritt gefordert. Noch am Wochenende wies Ministerpräsident Rutte das zurück, man müsse in der Pandemie voll handlungsfähig bleiben. Für die Kabinettssitzung an diesem Freitag kündigte er eine „politische Antwort“ auf den Bericht an. Doch nun wird es schwer für ihn, nur organisatorische Konsequenzen zu ziehen. Zumal die Vier-Parteien-Koalition schon vor längerer Zeit ihre Mehrheit in der Abgeordnetenkammer verloren hat. Asscher hatte ihr mit seiner Fraktion mehrmals aus der Klemme geholfen – das könnte sich nun ändern. Absetzungstendenzen gibt es auch in der Regierung selbst, die beiden kleineren Partner wollen nicht für den Skandal in Mithaftung genommen werden. Ohne vollen Rückhalt im Kabinett dürfte Rutte von sich aus die Reißleine ziehen.

Bis zur Wahl bliebe die Regierung geschäftsführend im Amt, insofern würde sich wenig ändern. Doch belastet der Skandal die beiden großen Parteien im Wahlkampf. Betroffene haben diese Woche fünf Minister angezeigt. Unter ihnen sind Wopke Hoekstra, Finanzminister seit 2017 und seit kurzem Spitzenkandidat des Christlich-Demokratischen Aufrufs, und sein Amtsvorgänger Eric Wiebes von Ruttes VVD, einst Staatssekretär im Finanzministerium, inzwischen Wirtschaftsminister. Der Regierungschef selbst hielt sich bisher relativ schadlos. Doch belastet der Skandal das Law-and-Order-Image seiner Rechtsliberalen. Dagegen wartet der Rechtspopulist Geert Wilders mit einem linken Sozialprogramm darauf, dass ihm enttäuschte Sozialdemokraten in die Arme laufen.

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