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#Ein Stoff für Geschichten

Ein Stoff für Geschichten

Kleine Teile, zusammengefügt zu sehr großen Gebilden. Bunt, gesteppt, weich und fest zugleich, einer dominanten Farbe folgend. Verschwenderisch im Material, verschwenderisch raumgreifend in ihrer Dimension. Die rote Decke. Die nachtblaue. Die goldene. Am eindrucksvollsten wirken sie wie achtlos irgendwo hingeworfen, auf den Boden, über ein Bett, eine Ottomane, einen Sessel oder in den offenen Raum, drinnen oder draußen. Es gibt ein altes Foto, da hängt eine dieser Decken über einer schmiedeeisernen Brüstung an einem Kanal, vielleicht in Venedig (vielleicht ganz woanders), auf einem anderen über dem Ast eines Baums, wo sie sich wie ein mächtiger Vorhang vor die Landschaft schiebt, während sie sich gleichzeitig zwangsläufig mit der Natur verbindet. Keineswegs eine Symbiose zwischen Decke und Baum, eher eine Art Waffenstillstand, eine Vereinbarung, dass keiner von beiden dem anderen die Show stiehlt.

Derart geworfen gewinnen die Decken ein Eigenleben im Zusammenspiel der einzelnen Teile, länglich oder quadratisch, immer ausgehend von einer Diagonalen aus einem Stück, die das Ganze in seiner Form zusammenhält. Es sind imposante Decken, die außer Venedig vielleicht oder einem Baum nicht viel neben sich dulden. Sie sind fürstlich nicht nur, weil sie an Herrscherroben erinnern – Gewänder phantastischer Herrscher über erfundene Welten –, sondern weil sie in ihrer Geste herrschaftlich sind, nicht gewaltsam, aber doch bestimmend, kostbar und stolz und ohne Götterduldung neben sich.

Preisgekrönte Autorin einer Reihe stets schmaler Romane

Eng gerollt andererseits sehen sie ganz harmlos aus, weich, voller Fürsorge, bereit, jeden zu wärmen, der bedürftig ist. So liegen diese Decken jeweils in einen Sack gesteckt in einem Regal im Nähstudio von Ulrike Edschmid in ihrer riesigen Berliner Altbauwohnung. Die quietschenden Bremsen der S-Bahnzüge auf ihrem Weg in den nahen Bahnhof vermischen sich mit dem Lärm der Autos unten auf der Straße, Einparken, Ausparken, Hupen an der Ampel, Bremsen, Anfahren. Unheimlich leise schieben sich nur die Elektroroller über den Bürgersteig um die Ecke und reizen die Kellner zum Fluchen, die den Gästen des Restaurants ein paar Stockwerke tiefer draußen unter den Bäumen ihre Bestellungen bringen und aufpassen müssen, nicht umgefahren zu werden.

In ihrer Wohnung hat sie ihre Quilts ausgebreitet, für den Fotografen auch mal auf dem Balkon.


In ihrer Wohnung hat sie ihre Quilts ausgebreitet, für den Fotografen auch mal auf dem Balkon.
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Bild: Andreas Pein

Im Nähstudio von Ulrike Edschmid sind bei geöffneten Fenstern vor allem die Autos zu hören. In ihrem Schreibstudio am anderen Ende der Wohnung die S-Bahn, die Flüche der Kellner und die lauten Gespräche derer, die sie bedienen. Ulrike Edschmid ist die preisgekrönte Autorin einer Reihe stets schmaler Romane. Zuletzt erschien „Levys Testament“, wie immer bei Suhrkamp, ein neues Buch entsteht gerade. Diese Bücher ergeben zusammengenommen eine ganz besondere Geschichte von Nachkriegsdeutschland und auch von der Erzählerin, wenn man sie so lesen will, eine inoffizielle Geschichte selbstverständlich, eine, die sich von den politischen wie individuellen Gegenbewegungen nährt.

Schreiben und Nähen fügen sich metaphorisch zusammen

Es geht in ihnen nicht um Weltentwürfe, aber doch um Großes: das Verhältnis von Politik und Moral im Leben Einzelner zum Beispiel und um Utopien einer freien Gesellschaft, aber nicht um ein Modell für sie. Es geht um Menschen in einer bestimmten historischen Situation, um Biografien, die politisch grundiert, aber nicht stereotyp erscheinen. Es geht um Männer, die die Ich-Erzählerin dieser Bücher einmal geliebt hat, und wie sie aus ihrem Leben verschwanden und möglicherweise als Freunde wiederkamen. Es geht um Intimität und in welchem Verhältnis sie zur Autonomie steht, um Familie als repressiven Zusammenhang und unentrinnbares Schicksal oder auch als Raum freier Entfaltung in Obhut.

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