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#Eine gequälte Seele hilft bei dieser Arbeit

„Eine gequälte Seele hilft bei dieser Arbeit“

Als Auftakt fünfzig Sekunden wie aus einem neorealistischen Film. Eine Frau hastet auf die Statue einer Madonna zu und klagt gegenüber einem entsetzten Mann: „Die Wahrheit! Turiddu stahl mir mein Glück und die Ehre, und Euer Weib hat mir sein Herz geraubt.“ Es ist Santuzza in Pietro Mascagnis „Cavalleria Rusticana“. Aus dem Klang ihrer heftig vibrierenden Stimme dringen die Qualen verratener Liebe. Schnitt: „Fine“. Mit dieser kurzen Szene endete der Film „Opera Fanatic“, mit dem sich der Regisseur Jan Schmidt-Garre vor gut zwei Jahrzehnten auf die Suche nach dem „Geheimnis des expressiven Singens“ gemacht hatte. Keine der zehn Sängerinnen, die er damals in den Zeugenstand gerufen hatte, blieb ihm in so schmerzlich- schöner Erinnerung wie Carla Gavazzi.

„Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mich eine Stimme noch einmal so treffen könnte, doch dann . . .“, so erzählt der Regisseur als Icherzähler zum Auftakt seiner filmischen Fortsetzung, „hörte ich während einer Autofahrt die Stimme der albanischen Sopranistin Ermonela Jaho: „Da war er wieder, der Gesang, den nur die Seele hören kann.“ Für Schmidt-Garre war es die Herausforderung, mit drei heutigen Sängerinnen – neben Ermonela Jaho mit der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian und der Kanadierin Barbara Hannigan – das tiefste Geheimnis sängerischer Expression zu erkunden: das „Fuoco Sacro“, von dem einst Petrarca gesprochen hatte, von einem „Zittern in der größten Hitze und dem Glühen unter dem kältesten Himmel“.

Was verbirgt sich im Nebel des Begriffs „Expression“? Zu unterscheiden sind drei Formen: das vokale Agieren, die musikalische Expression und der Ausdruck der Seele. Das vokale Agieren – die Nuancierung der Aussprache und die Färbung des Tons – und die musikalische Expression – Gradierungen der Dynamik, Hell-Dunkel-Tönungen („Chiaroscuro“) und rhythmische Spannung – lassen sich technisch definieren. Aber worin liegt das Geheimnis des „heiligen Feuers“, wie lässt sich der Ausdruck von Seele im Gesang erkunden? Handelt es sich, wie ein Skeptiker einwenden mag, nur um Gefühle, oft nur die dumpfe Reaktion des Geistes?

Im Klang der Stimme Seelenbilder malen

Und was bringt drei Sängerinnen dazu, sich auf der Suche nach einer Antwort in ein Gefühlslabor zu begeben: sich bei Proben beobachten zu lassen; Antworten zu geben auf die Frage nach ihrer Identifikation mit der Rolle und oder die nach der Kontrolle der eigenen Empfindungen; zu sprechen über Angstmomente vor dem Auftritt und über die Beziehung zu jenem wankelmütigen Tausendtier, das Publikum heißt; endlich zu (er-)dulden, das Gesicht minutenlang dem mikroskopischen Blick der Kamera auszusetzen? Zu den erstaunlichsten Momenten gehört ein „Test“, bei dem der Final-Monolog der Salome mit einem inneren Monolog von Asmik Grigorian überblendet wird, die sich mit geschlossenen Augen über Kopfhörer selbst lauscht. Wie in einem Spiegel sind in ihrem Gesicht die Ekstasen der Figur zu sehen und die körperliche Anspannung zu verspüren, wenn sie ihrer Stimme befiehlt, nicht zu „drücken“, wenn sie in grabestiefer Lage vom Geheimnis der Liebe und des Todes singt. Bei Ermonela Jaho ist zu erleben, was es bedeutet, beim Todesgebet von Puccinis Suor Angelica oder dem Weltabschiedsgesang von Verdis Violetta im Klang der Stimme Seelenbilder zu malen.

Beim Schreiben ist der Stil der ganze Mensch, beim Singen ist es die Stimme: Barbara Hannigan im Konzert


Beim Schreiben ist der Stil der ganze Mensch, beim Singen ist es die Stimme: Barbara Hannigan im Konzert
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Bild: Pars Media

Schmidt-Garre hat den Film in rhythmisch korrespondierenden Dreiersequenzen komponiert: jeweils kurze Auftritte der Sängerinnen, dann Beobachtungen der Arbeit bei Proben und Gesprächssequenzen mit Selbsterklärungen. „Eine gequälte Seele zu haben“, bekennt Ermonela Jaho, „hilft einem Künstler, weil man dann bereit ist, an die Extreme geht.“ Dass es keine Primadonnen-Floskel ist, wird im Seelenspiegel der Mimik ihres wunderschönen Antlitzes beglaubigt. In Barbara Hannigan ist der Sonderfall einer intellektuellen Sängerin (und Dirigentin!) zu erleben, die es zwar nicht vermeiden kann, „ein Teil der Rolle“ zu werden, aber doch exakt mit heißkaltem Kopf austariert, ob sie sich bei einer heiklen Passage mit der sicheren B-Variante begnügt oder sich auf das Risiko der A-Lösung einlässt: „Die nicht ganz gelungene Version A ist besser als die gelungene B.“ Bei ihr rinnen die Tränen, wie von Rousseau gefordert, aus dem Verstande. Die sanguinisch impulsive Asmik Grigorian ist offenbar das von innen brennende „stage animal“; sie hat, wie sie bekennt, Jahre gebraucht, um ohne Beta-blocker auf die Bühne zu gehen.

Wie wohltuend, dass keine der Sängerinnen auch nur im Ansatz versucht, sich mit den Posen der „umile ancella del genio creator“, als demütige Dienerin der Kunst, anzuschmeicheln wie Cileas „Adriana Lecouvreur“. Nie auch nur irgend eine Spur von Diva-Talk; sinnenfällig wird die lust- und qualvolle Arbeit des Singens mit all ihren physischen wie psychischen Herausforderungen. Der Regisseur hat es verstanden, seine klugen, eloquenten Protagonistinnen mit angemessenen, behutsamen und ernsthaften Fragen herauszufordern. Zu hoffen ist, dass sich auch die Zuschauer herausfordern lassen von diesem klugen, anspruchsvollen, aber auch enigmatischen und esoterischen Film über drei charismatische Sängerinnen, in dem wohl auch eine zarte Liebeserklärung des Regisseurs verborgen ist: an Ermolena Jaho, in deren Stimmklang jenes magische Feuer brennt.

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