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#Einer, der Gott und die Menschen liebte

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Einer, der Gott und die Menschen liebte

Anders kann diese Reise nicht beginnen: Der Speisewagen im Zug von Berlin nach Budapest ist geschlossen, allein Flaschenbier verkauft der Wirt – vor allem an eine Herrengesellschaft, die in Dresden wieder aussteigen wird. Mit der Aussicht auf mindestens zwölfstündiges Fasten kommt die richtige Gestimmtheit: Womöglich bin ich tatsächlich auf einer Art Wallfahrt, vielleicht pilgere ich, die Bibliothek von Miklós Szentkuthy (1908 bis 1988) zu sehen, dem wohl sonderbarsten ungarischen Literaten des zwanzigsten Jahrhunderts. Sein Werk wird erst langsam im deutschen Sprachraum entdeckt; für die erste Komplettübersetzung eines seiner Dutzende Bücher, „Apropos Casanova“, den ersten Band des „Breviers des heiligen Orpheus“, wurde Timea Tankó mit dem diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Nüchtern werde ich also eintreffen am Ziel meiner „peregrinatio“. Bevor das Mobilfunknetz versagt, noch ein letzter Blick auf den liturgischen Kalender online: Es ist der Gedenktag des heiligen Jean-Marie Vianney, des großen Beichtvaters der katholischen Kirche. Ich dagegen reise im Zustand der Herzensschwere; das hätte Szentkuthy, dem frommen Blasphemiker, dessen tiefe Religiosität ihn nicht daran hinderte, zwar nicht mit dem Allerheiligsten, aber mit allem bloß Heiligen Schabernack zu treiben, gut gefallen. Und auch wenn man es sonst nicht täte, muss man all das jetzt glauben: dass es Sünde und Sakrament gibt, Segen und Verdammnis und dass all das einem jederzeit und immerfort begegnet. Später zwar, nach der ersten Grenzüberfahrt, wird der Speisewagen öffnen, ich werde nicht hungern müssen und auch lernen, dass die Terminlage in den Heiligenkalendern zwischen Szentkuthy und mir durch die Liturgiereform durcheinandergekommen ist. Aber die Übung in magischem Denken ist schon gemacht; sie wird nützlich sein.

Lesen mit offenem Mund

Zu Szentkuthy begibt man sich, auch das kann kaum anders sein, nicht in die Ebene von Pest, sondern in die Hügel von Buda. Von dort steigt man in einen regelrechten Bücherkosmos auf, zu dem Mária Tompa mir Zugang verschafft, als Nachlassverwalterin von Szentkuthys Werk und Hüterin des Gedächtnisses von ihm und an ihn. Sie führt mich in (so man den Flur mitzählt) vier übersichtliche Zimmer, die Szentkuthy den größten Teil seines Lebens bewohnte und die erst die Menge der Bücher in allen Räumen – auf der Terrasse, in Raumtrennern, hinter Glastüren und auf Stapeln – zu einer bürgerlichen Wohnung macht; mein Besuch hier wird ebenso lange dauern wie die Zugfahrt.

Wer Szentkuthy liest, tut das nicht selten mit offenem Mund; in den Rezensionen zu „Apropos Casanova“ (F.A.Z. vom 18. Mai) ist ehrliches Staunen zu lesen, eine Ratlosigkeit, wie diese Literatur einzuordnen wäre. Wie für den Großteil der nicht nur professionellen Leserschaft ist meine Beschäftigung mit ihm eine in jeder Hinsicht vermittelte. Vor dem Ungarischen stehe ich, ein banales Geständnis, völlig ratlos. Mir bleibt nur der Griff zu schon vorhandenen Übersetzungen: ins Französische vor allem, in das bisher am meisten übertragen worden ist, ins Englische, dank des Engagements von Rainer J. Hanshe in seiner „Contra Mundum Press“, dazu Teilübersetzungen ins Polnische, verstreut erschienen in verschiedenen Literaturzeitschriften.

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