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#Ergänzungen zu Teichmüller – Mathlog

Ergänzungen zu Teichmüller – Mathlog

Oswald Teichmüller ist heute für zwei Dinge bekannt: die Teichmüller-Theorie, zu der wir vorhin einen Artikel geschrieben hatten, und die „Deutsche Mathematik“, einen politischen Kampfbegriff der 30er Jahre.
Um die Absurdität des letzteren aufzuzeigen, genügt im Grunde schon ein kurzer Blick auf Teichmüllers wissenschaftliche Biographie.

Oswald Teichmüller war in einem Wintersportort groß geworden, in der Nähe von Nordhausen im Harz. Mit dreieinhalb Jahren hatte er sich selbst Zählen und Lesen beigebracht, seine Mutter beschrieb ihn später als intellektuellen Frühentwickler und sprachlich sehr begabt, gleichzeitig soll er sehr impulsiv gewesen sein. Sein Vater, ein Weber, war im Krieg verwundet worden; er verstarb, als Oswald zwölf Jahre alt war. (Teichmüller selbst gab stets „Fabrikant“ oder „Fabrikbesitzer“ als Beruf seines Vaters an, was aber in keiner Weise der Situation der Familie entsprach.) Nach der Grundschule besuchte er zunächst dreieinhalb Jahre die Hauptschule. Seine Mutter arrangierte dann, dass er in Nordhausen das Gymnasium besuchen und dort bei einer Tante wohnen konnte. Mit 17 nahm er das Mathematikstudium in Göttingen auf. Er war sicherlich kein typischer Student: seine mathematischen Arbeiten waren brilliant, aber er wurde als plumper, ungehobelter Bauernjunge wahrgenommen, der in der Göttinger Szene ein völliger Außenseiter war. Freunde fand er erst, als er sich im zweiten Semester den Nationalsozialisten und der SA anschloß. Das war 1931. Zwei Jahre später, inzwischen wurde er von den Professoren schon als ebenbürtiger Mathematiker angesehen, organisierte er als stellvertretender Fachschaftsvorsitzender den Boykott von Edmund Landaus Erstsemestervorlesung. Von Landau zur Rede gestellt, erklärte er diesem in einem persönlichen Brief, dass “viele akademische Vorlesungen, insbesondere auch die Differential- und Integralrechnung, zugleich erzieherischen Wert haben und den Schüler nicht nur in eine neue Begriffswelt, sondern auch zu einer anderen geistigen Einstellung führen. Da aber die geistige Einstellung des einzelnen von seinem Geiste, der da umgestellt werden soll, abhängt, dieser Geist aber nach nicht nur jetzt, sondern schon lange bekannten Grundsätzen ganz wesentlich von der rassischen Zusammensetzung des einzelnen abhängt, dürfte es sich im allgemeinen nicht empfehlen, z.B. arische Schüler von einem jüdischen Lehrer ausbilden zu lassen.” Landau bat zwei Tage später um seine Entlassung, offensichtlich fühlte er sich von den SA-Studenten bedroht.

Obwohl Teichmüller zunächst noch zu verhindern versucht hatte, dass Helmut Hasse in Göttingen die Nachfolge Hermann Weyls antrat – er bezeichnete ihn als einen großen Algebraiker und deutschen Nationalisten, aber noch unfähig, den Anforderungen des neuen Regimes zu genügen – hatte er Hasse dann als Doktorvater gewählt und bei ihm über ein algebraisches Thema promoviert. Wenngleich die Nationalsozialisten innerhalb der Mathematik offiziell die “talmudistische” abstrakte Mathematik bekämpfen wollten, war die moderne Algebra nicht nur durch Hasse weiterhin prominent vertreten. Dagegen wurde ein von Richard Brauer geplantes Buchprojekt, mit dem die weniger abstrakte Algebra im Stile Issai Schurs in Lehrbuchform gebracht werden sollte, gestoppt. (Brauers Buchprojekt, das auch von Courant unterstützt wurde, hatte ein Gegengewicht zu van der Waerdens Algebra-Lehrbuch darstellen sollen. In dessen 1930 unter dem Titel “Moderne Algebra” erschienenen Lehrbuch kamen Anwendungen – etwa in der Zahlentheorie – überhaupt nicht mehr vor. Es basierte auf Vorlesungen von Noether und Artin, war aber anders als die Originale von historischen Bezügen oder solchen zu anderen Gebieten der Mathematik völlig befreit. Trotzdem oder vielleicht deswegen wurde es für die nächsten Jahrzehnte das Standardwerk der Algebra, während Brauers Projekt nie realisiert wurde.)

Hasse arbeitete zu dieser Zeit an der Riemann-Vermutung für die Zetafunktion von Funktionenkörpern mit endlichem Konstantenkörper. (Den Fall elliptischer Funktionenkörper löste er 1936.) Er sah sich als Algebraiker und nicht als Geometer. Beispielsweise sprach er nicht von Kurven über endlichen Körpern, sondern von elliptischen Funktionenkörpern mit endlichem Konstantenkörper. (Im Gegensatz etwa zu André Weil, der in einem Brief an Hasse betonte, man solle die alten Theorien nicht aus dem Blick verlieren; viele Resultate etwa der italienischen Schule müßten nur noch in die Sprache der modernen Algebra übersetzt werden. Weil bewies dann letztlich auch in den 40er Jahren den allgemeinen Fall.) Zur endgültigen Fassung von Hasses Beweis hatte Teichmüller einige eher formale Dinge beigetragen.
Hasse kam den kameradschaftlichen Vorstellungen der jungen Nazis durchaus entgegen, in dem er zum Beispiel ein wichtiges Forschungsseminar, dessen Thema er vorgab, formal in Eigenregie der Fachschaft organisieren ließ. In den Auseinandersetzungen in Göttingen setzte er sich letztlich gegen die von Erhard Tornier geführte radikalere Fraktion durch, vor allem, da er stets die Rückendeckung des Ministeriums suchte und letztlich auch bekam. Teichmüller, der Tornier unterstützt hatte, beschloß wohl auch deswegen, nach Berlin und zur dort von Ludwig Bieberbach vertretenen geometrischen Funktionentheorie zu wechseln.

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