#Es waren sechzehn Jahre
„Es waren sechzehn Jahre“
Der Auftrag aus Frankfurt lautet: 16 Jahre, eine Zeitungsseite. Doch wohin reist man als Landeskorrespondent, um die Merkel-Zeit auf den Punkt zu bringen? Garmisch und Sylt war so ein Gedanke. Dann vielleicht noch nach Bautzen, damit sich nachher keiner beschwert. Die Empfindlichkeiten sind in den vergangenen 16 Jahren ja nicht geringer geworden. Oder fährt man einfach nach NRW, von dem Armin Laschet immer sagt, es sei Deutschland im Kleinen? Bei der Auswahl unserer Gesprächspartner das gleiche Spiel. Geschlechterparität ist für uns unverhandelbar. Aber wie repräsentativ ist es, zum Beispiel, mit einem Professor, einer alleinerziehenden Krankenschwester, einer alleinerziehenden Kassiererin und Achille Mbembe zu sprechen? Nein, in einer solchen Lage mussten wir eine klare Entscheidung treffen, wie es Angela Merkel vielleicht auch öfter hätte tun sollen. Wir deuten die Forderung nach mehr Repräsentativität kurzerhand um und fahren dahin, wo repräsentiert wird. Café Einstein, Berlin.
Ein Kollege aus dem Feuilleton hat uns den Tipp gegeben, dass „jede anständige Berlin-Recherche“ dort, Unter den Linden, beginnen sollte. Wir haben uns am Vormittag mit Günter Bannas verabredet, dem früheren Leiter des F.A.Z.-Hauptstadtbüros. Bannas, der erst einmal seine filterlosen Gauloises auf den Tisch in der Sonne legt, ist ein präziser Chronist ohne jeden Hang zum Haltungsjournalismus. Nur als 2007, 2008 ein Rauchverbot nach dem anderen in Kraft trat, machte er eine Ausnahme.
Seither rauchen immer weniger, zumal im politischen Betrieb. Und mit dem Rauchen ging auch das Trinken zurück, denn zwischen beidem besteht ein Zusammenhang, erklärt Bannas. „Wenn du ein Glas Wein trinkst, nimmste auch ’ne Zigarette dazu.“ Die Stimmung auf den Kanzlerreisen habe sich dadurch stark gewandelt. Überhaupt, die Kanzlerreisen. Helmut Kohl und seine Vorgänger hätten sich in fremden Ländern noch tagelang Zeit genommen, erzählt Bannas. Bilder entstanden, die an Ansichtskarten erinnerten. „Das war immer auch eine Reverenz gegenüber den Gastgebern: Der deutsche Kanzler nimmt die Kultur dieses alten Landes ernst.“ Der Wandel setzte mit Schröder ein. „Ich lass mich nicht vor den Pyramiden fotografieren“, lautete nun die Devise. „Stattdessen fünf Tage, fünf Länder. Damit es nachher nicht heißt: Der lässt es sich auf unsere Kosten gutgehen.“
Noch immer nah dran: Günter Bannas
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Bild: Jens Gyarmaty
Unter Angela Merkel sei die Taktung nochmals enger geworden. „Sie hat es extrem verdichtet. Lateinamerika in zwei Tagen, da warst du länger im Flugzeug als am Boden.“ Liegt es an Merkels protestantischem Arbeitsethos und ihrem Hang zur Austerität? Bannas glaubt das eher nicht. „Erstens trinkt Merkel selber gerne ein, zwei Gläser Wein. Und zweitens musst du als Spitzenpolitiker heute viel mehr reisen. Morgens Paris, mittags Berlin, abends Brüssel.“ Ein paar Tage abtauchen, unerreichbar sein, wie einst Willy Brandt, das geht heute kaum mehr. Schon wegen der ganzen mobilen Endgeräte.
Die Zeiten sind ungnädiger geworden. Die sozialen Medien haben dazu geführt, dass jeder Schritt beobachtet werden könnte. Auch die Aggressionen im politischen Diskurs haben zugenommen. Nicht unbedingt in der politischen Klasse selbst, aber an ihren Rändern. Wie aufs Stichwort nimmt Roland Tichy am Nebentisch Platz. Jan Böhmermann würde jetzt aufstehen und gehen, nach dem Motto: Neben AfD-nahen Publizisten sitzt man nicht. Vielleicht hat Böhmermann an einem anderen Tisch auch jemanden sitzen, der filmt, wie F.A.Z.-Redakteure, obwohl sie sehen, dass sie neben Tichy sitzen, nicht sofort aufstehen. Die Reinheitsfiktionen von rechts gibt es nun auch links. Aus Protest und wegen der Sonne bleiben wir also sitzen neben Tichy und seinem Gesprächspartner mit den goldenen Manschettenknöpfen, der gerade den „letzten aufrechten Wirtschaftsliberalen“ hinterhertrauert.
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