Wissenschaft

#Historiker finden bisher unbekannte NS-Deportationsfotos

In einem Dresdener Archiv haben Historiker bisher unbekannte Fotos von Deportationen jüdischer Menschen aus Breslau während des Dritten Reichs entdeckt. Die von einem jüdischen Fotografen im Verborgenen gemachten Bilder zeigen die mit ihren Gepäckstücken an einem Versammlungsplatz wartenden Menschen im November 1941 und April 1942. Sie sind die letzten Zeugnisse dieser Personen – nur zwei von mehr als 2000 Menschen überlebten die beiden in den Fotos dokumentierten Deportationen.

Von vielen Deportationen während des Nationalsozialismus existieren nur Fotos, die von SS-Leuten oder andern am Geschehen beteiligten Personen aufgenommen wurden. Nur in wenigen Fällen gab es jüdische Augenzeugen oder selbst Betroffene, die das Geschehen in Fotografien festhielten und es so dokumentierten. Der internationale Forschungsverbund „#LastSeen. Bilder der NS-Deportationen“ hat es sich zum Ziel gemacht, diese Aufnahmen aufzuspüren und zuzuordnen. Seit 2021 hat das Projekt schon rund 500 NS-Deportationsfotos aus 60 Städten im Gebiet des ehemaligen Deutschen Reichs zusammentragen. Viele der abgebildeten Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma oder Euthanasie-Opfer sind auf den Bildern zum letzten Mal zu sehen.

Im Rahmen dieses Projekts suchte Steffen Heidrich, Historiker und Mitarbeiter des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden, im Dresdener Archiv des Landesverbands nach weiteren Aufnahmen von Deportationen. Dabei wurde er fündig: Er entdeckte 13 Originalabzüge, die Jüdinnen und Juden bei ihrer Deportation aus Breslau zeigen. „Der ebenso zufällige wie herausragende Archivfund des Kollegen Steffen Heidrich in Dresden ermöglicht völlig neue Perspektiven auf die Deportationen von als Juden verfolgten Menschen in Breslau“, sagt Alina Bothe, Leiterin des internationalen Forschungsprojekts #LastSeen.

Fotos von zwei Deportationen in Breslau

Die Aufnahmen zeigen zwei verschiedene Deportationen: Zwölf Fotos stammen aus dem November 1941. Damals wurden mehr als 1000 jüdische Bewohner Breslaus von der Polizei verhaftet und in die Gaststätte Schießwerder am Bahnhof Odertor gebracht. Auf engstem Raum zusammengepfercht mussten sie dort warten, bevor sie am 25. November in einen Zug nach Kaunas in Litauen gezwungen wurden. Direkt nach ihrer Ankunft wurden alle Deportierten dort von einem Einsatzkommando im Fort IX erschossen. Es gibt keine Überlebenden dieser Deportation. Die Fotos sind damit die letzten Zeugnisse der Ermordeten. Sie zeigen die Sammlung der Menschen im Biergarten der Gaststätte, die Verladung des Gepäcks sowie weitere Aspekte der „Abfertigung“ der zur Deportation bestimmten Personen.

Eines der neu entdeckten Fotos stammt von einer zweiten Deportation aus Breslau. Ab dem 9. April 1942 wurden dort abermals fast tausend Personen in der Gaststätte Schießwerder in Breslau gesammelt und von dort aus vier Tage später mit einem Zug in das polnische Ghetto Izbica transportiert. Dieses diente damals als Durchgangslager für den Weitertransport von jüdischen Gefangenen in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor. Das Foto aus dem April 1942 zeigt, wie vier ältere, mit schwerem Gepäck beladene Frauen die Gaststätte Schießwerder betreten und sich dort zur Deportation einfinden. Von den fast tausend damals deportierten Menschen haben nur zwei Personen den Holocaust überlebt.

Von einem jüdischen Fotografen heimlich aufgenommen

Auf den Originalabzügen der 13 neuentdeckten Aufnahmen ist zu erkennen, dass die Bilder hinter Mauervorsprüngen und in Fahrzeugen verborgen aufgenommen wurden. Dies spiegelt das hohe Risiko wider, das der Fotograf bei der Dokumentation dieser Vorgänge einging. Auf Basis von historischen Daten und vergleichenden Analysen gehen die Forschenden davon aus, dass diese Bilder von dem jüdischen Fotografen Albert Hadda (1892-1975) angefertigt wurden. Durch seine Ehe mit einer Nicht-Jüdin war Hadda zwar anfangs noch vor einer Deportation geschützt. Allerdings stand er schon ab 1934 unter Berufsverbot und arbeitete ab dann für die Jüdische Gemeinde Breslau. Trotz des Verbots dokumentierte Hadda dabei heimlich die Deportationen.

1944 wurde der Fotograf jedoch selbst in ein Zwangsarbeitslager gebrach. Im Januar 1945 gelang Hadda jedoch die Flucht aus dem Lager. Er schlug sich bis nach Breslau durch und versteckte sich dort bis zum Kriegsende. Später gelangte der Fotograf mit einem Transport Überlebender aus Breslau erst nach Erfurt, später lebte er in Fulda. Die Historiker vermuten, dass Hadda seine Fotos in Erfurt einem Archiv übergab. Später gelangten die Aufnahmen dann von dort aus nach Dresden. Die neu entdeckten Fotos und weitere Aufnahmen von Deportationen in deutschen Städten sind auf dem Portal digitaler Bildatlas „#LastSeen“ im Netz zu sehen.

Quelle: Freie Universität Berlin

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