Nachrichten

#Feindbilder des Vorkriegs

„Feindbilder des Vorkriegs“

Nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sieht sich Polen durch Russlands aggressive Expansionsbestrebungen besonders gefährdet. Schon die Krim-Annexion 2014 war als Alarmzeichen wahrgenommen worden und ließ auch antirussische Ressentiments aufleben. Wenngleich solche von der nationalkonservativen PiS-Regierung seit ihrem Machtantritt 2015 geschürt wurden, warf ihr die Opposition vor, Handlangerin des Kremls zu sein. Dabei war es die heutige Opposition, die sich in ihrer Regierungszeit unter Ministerpräsident Donald Tusk von der liberalen Bürgerplattform PO (2007 bis 2015) aktiv um eine Annäherung an Russland bemühte. So wurde 2011 per Gesetz das „Zentrum für polnisch-russischen Dialog und Verständigung“ (CPRDiP) in Warschau eingerichtet, das mit Forschungsprojekten, Stipendien und Besuchsprogrammen einen ständigen Austausch zwischen Wissenschaftlern, Publizisten und Jugendlichen beider Länder ermöglichen sollte.

Nach der Krimannexion, die das CPRDiP verurteilte, kam es zu einer ersten Akzentverschiebung seiner Tätigkeit. Der ursprünglich als binational konzipierte Dialog wurde internationalisiert – etwa mit dem 2015 gestarteten Onlinemagazin „Intersection“, das ein Forscherteam aus Polen, Russland, Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten auf Englisch und Russisch betrieb. Es lieferte kritische Analysen über das Putin-Regime und bot neben ukrainischen auch russischen und belarussischen Autoren ein Forum. Repräsentativ für diese Linie war der aus dem Projekt 2017 hervorgegangene Sammelband „A Successful Failure: Russia after Crime(a)“, mit dessen Titel suggeriert wurde, dass man die Annexion der Krim als „Verbrechen“ betrachte. 2018 musste „Intersection“ allerdings wegen Geldmangels eingestellt werden.

Putins Vorwürfe zum Jahr 1939

Zu den russischen Gesprächspartnern des Warschauer Dialog-Zentrums gehörte schon damals das Moskauer Lewada-Zentrum für Meinungsforschung. Zuletzt wurde es im Herbst 2020 vom CPRDiP mit einer Befragung zum gegenwärtigen Polenbild der Russen beauftragt – im gleichen Jahr hatte zuvor im Auftrag des CPRDiP das Warschauer Meinungsforschungsinstitut ARC das polnische Russenbild untersucht; die Ergebnisse wurden unter dem Titel „Informationskrieg und Geschichtspropaganda“ veröffentlicht. Die komplementären Unternehmungen wurden von CPRDiP-Direktor Ernest Wyciszkiewicz und seinem Stellvertreter Łukasz Adamski damit begründet, dass die russische Führung ein besonders in Geschichtsfragen zunehmend polenfeindliches Bild verbreite. In der Untersuchung zum Polenbild der Russen zitieren die Direktoren eingangs aus Wladimir Putins Rede vom 19. Dezember 2019, in der er der Führung der Zweiten Polnischen Republik vorwarf, mit der Verfolgung nationaler Ambitionen Polen der deutschen Kriegsmaschinerie unterworfen und damit zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beigetragen zu haben. Dieses Statement stand in einer Reihe von Äußerungen der russischen Staatselite, die Polen eine Mitschuld am Weltkrieg gaben und von 2019 an zu einer dramatischen Verschlechterung der russisch-polnischen Beziehungen führten.

Wyciszkiewicz und Adamski stuften es als gefährliche Zäsur ein, dass nun auch der russische Präsident solche geschichtsverfälschenden Behauptungen aufstellte. Dass der Umfrage zufolge ein Zehntel der Russen Polen für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verantwortlich machten, führten sie auf die polenfeindliche Kampagne des Kremls zurück. Besonders irritierte die polnischen Wissenschaftler, dass mehr als vierzig Prozent der russischen Befragten nichts von den historischen Teilungen Polens wussten und einer noch größeren Zahl – rund die Hälfte – das Katyn-Massaker, das die Sowjets im Frühjahr 1940 an mehr als zwanzigtausend Polen verübt hatten, unbekannt war. Beunruhigend war für sie auch, dass die überwältigende Mehrheit der Russen die imperiale Politik des Zarenreichs und der Sowjetunion mit Argumenten aus dem rhetorischen Arsenal des russischen Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts verteidigte. Grund für einen vorsichtigen Optimismus sahen die Forscher indes darin, dass die Befragten über die Angemessenheit von Annexionen geteilter Meinung waren und dass unter jüngeren Russen polenfeindliche Ansichten tendenziell auf Skepsis stießen.

Für die Arbeit des CPRDiP hat der russische Überfall auf die Ukraine direkte Konsequenzen. Abgeordnete der regierenden PiS-Partei haben kürzlich einen Entwurf zur Novellierung des CPRDiP-Gesetzes im Sejm eingereicht, das eine Namensänderung wie auch eine Schwerpunktverschiebung der Arbeit des Zentrums vorsieht. Łukasz Adamski teilte dieser Zeitung auf Anfrage mit, dass dies in völliger Übereinstimmung mit der Leitung des Zentrums geschehe. Es solle sich nun über den polnisch-russischen Austausch hinaus auch ausdrücklich um die Förderung des Dialogs mit ukrainischen und belarussischen Intellektuellen bemühen. Für einen solchen hatte sich schon der polnische Journalist und spätere prominente Exil-Autor Juliusz Mieroszewski (1906 bis 1976) starkge­macht, dessen Namen das Zentrum künftig tragen wird.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!