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#Fernweh statt Nahglück: Warum wir reisen müssen

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Fernweh statt Nahglück: Warum wir reisen müssen

Kann man das Reisen verlernen? Werden wir eines Tages nach Monaten oder vielleicht sogar Jahren der staatlich verordneten Selbstisolation nicht mehr wissen, wie wir uns jenseits der Grenzen von Merkelistan und Söderland mit Anstand und Würde zu benehmen haben? Werden wir dann so unbedarft sein wie unsere Vorväter und Vormütter bei ihren ersten Wirtschaftswunderfahrten in das blühende Zitronenland und hilflos an Flughäfen vor Check-in-Apparaten verharren, ratlos über den Formularen von Visa-Anträgen grübeln, orientierungslos in den Untergrundbahnen der Weltmetropolen umherirren? Sind wir also auf dem besten Weg, uns wieder in touristische Analphabeten zu verwandeln?

Jakob Strobel y Serra

Manchmal steht uns der kalte Schweiß auf der Stirn, weil wir fürchten, dass es sich mit dem Reisen eben nicht so verhält wie mit dem Fahrradfahren oder dem Gebrauch von Messer und Gabel, sondern so wie mit komplizierteren Kulturtechniken, etwa der gepflegten Konversation oder dem Erlernen und Verlernen von Fremdsprachen – Übung macht den Meister, Tatenlosigkeit führt zum Vergessen. Und so entsetzlich das auch wäre, treibt uns doch ein noch viel schrecklicheres Szenario um: Nach einer endlosen Zeit der Verwahrlosung in der Zivilisationseinsiedelei könnten wir nicht nur das Reisen verlernen, sondern auch die Lust daran verlieren: Man sperrt die Tür des Käfigs auf, und das freiheitsliebende Tier bleibt einfach apathisch liegen.

Gartenlaubenkosmos im Lummerlandformat

Wir erleben gerade die Wiederauferstehung des Biedermeiers – klein statt groß, nah statt fern, Restauration statt Revolution, Metternichs provinzielle Stickigkeit statt grenzenlosen Dauerreisens kreuz und quer durch Europa à la Napoleon. Wir haben es uns notgedrungen in einer ebenso beschaulichen wie überschaubaren Welt bequem gemacht und geben uns mit einem Gartenlaubenkosmos im Lummerlandformat zufrieden. Wir werden zu Apologeten einer neuen Anspruchslosigkeit, sind jetzt alle Spezialisten der Selbstgenügsamkeit und führen ein Leben der kleinen Freuden. Die Blumen auf dem Balkon, die Familie auf der Terrasse, ein Ausflug zum Supermarkt als Tageshöhepunkt und als Fernreise eine Expedition ins nächstgelegene Mittelgebirge mit belegten Broten als Notproviant. Mehr gibt unser Radius zurzeit nicht her. Und allmählich fangen wir an, uns zu fragen, ob wir überhaupt noch mehr wollen, ob wir die große, weite Welt überhaupt noch brauchen, ob die Sehnsucht nach ihr ganz leise stirbt, ohne mehr als bloße Nostalgie zu hinterlassen.

Die Welt steckt voller unfassbarer Schönheit. Wir wären Narren, wenn wir uns einen Anblick wie den Grand Canyon entgehen ließen.


Die Welt steckt voller unfassbarer Schönheit. Wir wären Narren, wenn wir uns einen Anblick wie den Grand Canyon entgehen ließen.
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Bild: dpa

Die Welt ist ja auch eine Zumutung und das Reisen das nackte Grauen im Vergleich zu unserer derzeitigen Bequemlichkeit. Jetzt sitzen wir nicht mehr wie Sardinen in einer fliegenden Aluminiumröhre, sondern sehr kommod auf unseren Gartenmöbeln. Jetzt kämpfen wir nicht mehr auf Kreuzfahrtschiffen mit fünftausend anderen Passagieren um die beiden Hummer auf dem Büfett, sondern grillen im kleinsten Kreis so viele Schnitzel, wie wir wollen. Jetzt werden wir weder auf dem Markusplatz in Venedig noch auf der Promenade des Anglais in Nizza und schon gar nicht am Jungfraujoch im Berner Oberland zwischen Menschenmassen aus aller Herren Länder klaustrophob, sondern spazieren seelenruhig durch das schöne Knüllgebirge oder durch entleerte deutsche Fußgängerzonen an bankrotten Geschäften und ruinierten Cafés entlang. Wenn das keine Freiheit ist! Der deutsche Wald ist zwar halb tot, aber trotzdem schön, und die deutsche Stadt ist es auch.

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