Nachrichten

#Finale im bürgerlichen Trauerspiel

„Finale im bürgerlichen Trauerspiel“

Wenn Boris Becker in seinen Glanz­tagen in Wimbledon auftrat, stand auf der Anzeigetafel zu lesen: „Boris Becker v.“ und dann der Name seines Gegners. Fünfzehn Kilometer nordöstlich vom Centre Court, auf dem der jüngste Sieger in der Geschichte dieses Turniers drei Mal dessen Pokal entgegennahm, fechtet der Wunderknabe von einst nun einen Kampf gegen einen anderen Kontrahenten aus. Im Schwurgericht von Southwark am südlichen Themse­ufer läuft das sich nach zweieinhalb Wochen dem Ende zuneigenden Strafverfahren gegen ihn als „The Queen v. Boris Franz Becker“.

Gina Thomas

Feuilletonkorrespondentin mit Sitz in London.

Dabei geht es unter anderem um zwei Wimbledon-Pokale, die die 2017 für Bankrott erklärte Tennislegende (neben Immobilien, anderen Ver­mögenswerten sowie auch Schulden) den Insolvenzverwaltern verschwiegen haben soll. Becker behauptet, nicht zu wissen, was aus den beiden Pokalen geworden ist. Das klingt etwas plausibler, wenn er im Kreuzverhör darauf hinweist, dass die Trophäen, die der Sieger mit nach Hause nehmen darf, Replikate im Kleinformat sind. Die Staatsanwaltschaft will ihm weder das Abhandenkommen dieser Pokale abnehmen noch die Unkenntnis über seine finanziellen Angelegenheiten. Die auf elf geschrumpften Geschworenen – zehn Männer und nur eine Frau – müssen sich darüber klar werden, ob Becker tatsächlich ein ahnungsloser Chaot ist, der mit Geld nicht umgehen könne, wie die Verteidigung argumentiert, oder ob die Staatsanwältin mit dem Vorwurf des vorsätzlichen Be­trugs in 24 Punkten recht hat.

Beckers lässiges Auftreten ist Vergangenheit

Als Becker 2002 in München wegen Steuerhinterziehung vor Gericht stand, berichteten die Medien über ein „betont lässiges“ Auftreten des Angeklagten. Diese Selbstsicherheit hat sich ebenso verflüchtigt wie das immense Vermögen. Schlimmstenfalls drohen Becker sieben Jahre Haft. Außer bei den Vernehmungen im Zeugenstand sitzt er in einem Glaskasten an einem Ende des büroartigen Saales der am anderen Ende platzierten Richterin gegenüber. Dazwischen die Justiziare. Links von Becker die Geschworenen und rechts seine Lebensgefährtin, die ihn täglich begleitet. Seit Dienstag leistet auch sein Sohn Noah mit grimmiger Miene Beistand. Bei der WLAN-Suche erscheint „Noah Becker’s German Phone“ auf dem Bildschirm.

Einzig das königliche Wappen mit dem Motto „Dieu et mon droit“ und die traditionellen Roben und Perücken von Richterin und Anwältin beschwören einen Hauch jener Atmosphäre, die man aus britischen Gerichtsfilmen kennt. Nichts an dem unscheinbaren Zweckbau aus den frühen Achtzigerjahren deutet darauf hin, dass South­wark Crown Court das wichtigste Gericht für schweren Betrug ist. Die abgenutzte Innenausstattung erinnert eher an ein Sozialamt, das die gleichen Sauberkeitsdefizite aufweist wie ein englischer Eisenbahnwagen am Ende eines langen Pendlertages. Trotz der Bitte aus dem Publikum, doch ins Mi­krofon zu sprechen, ist die Stimme der Richterin bei ihrer langen Zusammenfassung so leise und einschläfernd, dass man meinen könnte, ihr widerstrebe das Prinzip offener Gerechtigkeit. Die weitgehend aus Vertretern deutscher Medien bestehenden Be­richterstatter auf den Hinterbänken können den Sinn oft nur aus Wortfetzen erraten. Während der Urteilsfindung bleiben die Medien vor dem Saal in Wartestellung. Zwischendurch werden wie im Fließbandverfahren andere Fälle behandelt. Inmitten des Kommen und Gehens rät eine Anwältin einer eingeschüchterten Angeklagten in Hörweite der Journalisten, sich schuldig zu bekennen.

Im Gericht sitzen Boris Becker eine Übersetzerin zur Seite, deren Dienste er so gut wie nie in Anspruch genommen hat, und eine Justizangestellte. Tiefe Tränensäcke, das rötliche, aufgedunsene Gesicht und der steife, durch Knie- und Knöchelbeschwerden verursachte Gang lassen ihn viel älter wirken als seine 54 Jahre. Selbst von hinten merkt man Becker die Anspannung an, während er dem Verfahren konzentriert folgt, als erführe er durch die rechtlichen Erläuterungen zum ersten Mal, wie die Dinge gelaufen sind, um die er sich nicht gekümmert haben will, als Um­schuldungen, Überweisungen und dergleichen in seinem Namen vorgenommen wurden. Gelegentlich greift er zu den Akten auf dem Fußboden neben seinem Stuhl. Bei der Vernehmung hat Becker gestanden, wie sehr er sich schäme für seinen Bankrott. Er warf den Medien vor, sein Image abgewertet und seine Erwerbsfähigkeit damit beeinträchtigt zu haben. Die abhandengekommenen Pokale, die zu ge­winnen Boris Becker einst alles gab, sind für dieses bürgerliche Trauerspiel ein passendes Symbol.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!