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#Florence Hazrats Buch über das Ausrufezeichen

Ein sparsamer Gebrauch wird dringend empfohlen: Florence Hazrat verfolgt die Karriere des Ausrufezeichens und blättert dabei ein lehrreiches Kapitel der Ideengeschichte auf.

Schachtelsätze sind für Anfänger. Die hohe Kunst der komplexen Aussage, so lernt der Leser von Florence Hazrats charmantem Buch über die Geschichte des Ausrufezeichens, liegt in der Interpunktion. Genauer gesagt, in der richtigen Verwendung des so schrillen wie symmetrischen geraden Strichs mit darunter hängendem Punkt.

Zeichensetzung markiert die Tonalität eines Satzes. Dank des punctus exclamativus oder punctus admirativus, des Ausrufungs- oder Verwunderungszeichens, wie es noch bis ins neunzehnte Jahrhundert genannt wurde, wissen wir, dass wir eine entschiedene Aussage lesen, eine Anweisung oder eine Einlassung, die Staunen zum Ausdruck bringen soll. Es dient nicht der kurzen Atempause wie das biegsame Semikolon, ist nicht zögernd wie das unentschlossene Fragezeichen. Als wenig subtiles Satzende ist es vielmehr besonders geeignet für ein Anliegen, das wohl eher selten mit Zeichensetzung verbunden wird: die Konzentration auf das große Gefühl.

Als das Ausrufezeichen Mitte des vierzehnten Jahrhunderts von einem italienischen Dichter aus einer Kombination von Komma und Punkt geschaffen wurde, verwandelt sich ein „frecher kleiner textueller Ohrring“ schnell in ein „neues affektives Zeichen“. Als im achtzehnten Jahrhundert die Sprache zur Wissenschaft wird, markiert das Ausrufezeichen, so ein Zeitgenosse, „die Stimme der Natur, wenn sie sich aufgewühlt, erstaunt und bewegt zeigt“. Sein natürliches Habitat ist die Lyrik, vielleicht das Drama, selten naturwissenschaftliche Traktate.

Noch in den Sechzigerjahren gab es Schreibmaschinen ohne die entsprechende Taste

Es mag nach einer Nische klingen, doch Hazrats „rebellische Geschichte“ blickt auf eine ehrwürdige Tradition der Ideengeschichte. Kleine Formen haben in der Wissenschaft schon seit einigen Jahren Konjunktur. Durch den Blick auf die physische Realität immaterieller Gedanken untersuchen Studien über Anmerkungen, Marginalien oder Interpunktion im besten Fall die große Welt im kleinen Zeichen.

Florence Hazrat: „Das Ausrufezeichen“. Eine rebellische Geschichte.


Florence Hazrat: „Das Ausrufezeichen“. Eine rebellische Geschichte.
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Bild: HarperCollins

Solche leicht zu übersehenden Elemente organisieren die Seite wie den Lesefluss. Sie verkörpern konzentriert den Schreib- und Denkstil einer Zeit und offenbaren persönliche Vorlieben und kollektive Geschmacksurteile. Fußnoten, so schrieb der amerikanische Historiker Anthony Grafton in seiner Geschichte derselben, seien nur für die Uneingeweihten stabile Systeme. Der Connaisseur sehe stattdessen einen Ameisenhaufen voller wuselnder, streitender Mikroelemente.

Gleiches gilt für das Ausrufezeichen. Seine pathetische Kraft, die sich so gut für Werbung und Propaganda eignet, rief immer wieder minimalistisch orientierte Gegner auf den Plan. Ratgeber für guten Stil empfehlen den sparsamen Gebrauch. Es sei das „typographische Äquivalent zu Junk-Food“, Zeichen eines verwirrten Geistes. Zum Meister der Kurzgeschichte Hemingway passte es ebenso wenig wie zum Existenzialisten Camus. Adorno fand es autoritär. Tom Wolfe hingegen, Verfasser des „Fegefeuers der Eitelkeiten“ von 1987 und berühmter Vertreter eines subjektiv verdichteten Journalismus, war ein leidenschaftlicher Fan. Menschen dächten nicht in Essays, ließ er verlauten, „sie reihen ein Ausrufezeichen an das andere“. Pop-Art wie Comics wären ohne „Whoa!“, „Boom!!“, „Whoosh!!!“ ästhetisch um einiges ärmer.

„En Marche!“, „Make America Great Again!“, „Wir schaffen das!“

Das Buch der in Berlin lebenden deutsch-iranischen Autorin bietet viele solcher kulturhistorischen Einblicke, ist aber am stärksten in seinen editionsgeschichtlichen Passagen. Denn es mag zwar individuelle Präferenzen bei der Interpunktion geben, doch bevor sich die Idee des unveränderlichen Werkes im zwanzigsten Jahrhundert durchsetzte, lagen Rechtschreibung und Zeichensetzung mitnichten in des Autors Hand. Ein Drucker des sechzehnten Jahrhunderts hatte nur dann ein ! im Setzkasten, wenn die Gießerei es zur Verfügung stellte. Jane Austens Romane, berühmt für ihren raffiniert kontrollierten Rhythmus, wurden von einem Mitarbeiter ihres Verlegers neu interpunktiert. Noch in den 1960er Jahren gab es Schreibmaschinen ohne entsprechende Taste.

Und wie soll man heute mit dem mittelalterlichen Langgedicht „Beowulf“ umgehen, dessen Übertragung aus dem Altenglischen Satzzeichen zu erfordern scheint, die es zu seiner Entstehungszeit noch nicht gab? Ein vermeintlich so typischer Stil ist oft das Ergebnis der vielen Hände, durch die ein Manuskript geht.

Hier zeigt sich die Expertise der Autorin, die an den Universitäten Cambridge und St. Andrews zur englischen Literatur der Renaissance forschte und promovierte. Ihre Erklärungen sind detailliert, aber mit leichter Hand geschrieben. Wenn es um typographische Spielereien geht, ist sie in ihrem Element. Weniger gelungen sind die hinteren Kapitel, die das Buch unnötig in die Länge ziehen. Es gibt einen Parforceritt durch politische Slogans, von „En Marche!“ über „Make America Great Again!“ zu „Wir schaffen das!“, und einen kursorischen Überblick über das Ausrufezeichen im digitalen Raum. Donald Trumps besondere Vorliebe für die laute Markierung erhält erwartungsgemäß ihren eigenen Abschnitt, lässt aber, nicht zuletzt im damit verbundenen Aufruf, das nun kontaminierte Zeichen zu retten, die frühere Bereitschaft zur Ambivalenz vermissen. Hier wird nun auch mit dem ! statt mit dem Florett gefochten.

So beweist sich am Ende die Wahrheit des Buches: Ein gutes Ende zu finden ist eine Kunst. Doch davor haben wir gelernt, dass das wahre Meisterwerk ein gutes Satzende ist.

Florence Hazrat: „Das Ausrufezeichen“. Eine rebellische Geschichte. Aus dem Englischen von Stephan Paul. HarperCollins Verlag, Hamburg 2024. 224 S., Abb., geb., 20,– €.

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