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Frankfurt, heimliche Hauptstadt

Als der junge Staatsanwalt Gerhard Wiese 1963 die Anklageschriften gegen die beiden Nazi-Folterer im Vernichtungslager Auschwitz, Wilhelm Boger und Oswald Kaduk, mitvorbereitete, wollten viele Deutsche noch nichts von der eigenen Verstrickung in das nationalsozialistische Schreckensregime wissen. Doch aus Frankfurt kam ein Signal gegen die Verdrängung, das nur noch schwer zu ignorieren war: der erste Auschwitzprozess, bei dem Angehörige von SS-Wachmannschaften zwischen Weihnachten 1963 und 1965 vor Gericht standen und über ihre Gräueltaten berichteten.

Der Prozess, der international für Aufsehen sorgte, sollte im Frankfurter Saalbau Gallus stattfinden, im Gallusviertel, doch der musste erst noch fertiggestellt werden. Also tagte das Gericht nach einem Machtwort des damaligen Oberbürgermeisters im Plenarsaal der Stadtverordnetenversammlung im Römer, wo noch immer Politik gemacht wird, allerdings meist Stadtpolitik. „Es war damals eng und dicht gedrängt“, erinnert sich der heute 92 Jahre Wiese, der als pensionierter Jurist in Dornbusch lebt – und bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie als Zeitzeuge Schülern von den Schrecken des Naziterrors erzählte. „Mir war klar, dass dieser Prozess kein gewöhnlicher sein würde“, sagt er. Allerdings habe er diese historische Dimension damals nicht erkannt.

Frankfurt als Prozessort

Wenige Monate später, im April 1964, zogen die Richter, Anwälte, darunter Wiese, die Angeklagten und die Pressevertreter in den Saalbau Gallus weiter, in einen Saal, der heute den Namen des legendären hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer trägt. „Hier war es heller und lichter“, erinnert sich der Zeitzeuge Wiese.

Äußerlich ein eher unscheinbares Gebäude, doch im Saalbau Gallus fand Geschichte statt, die nachwirkt: Der erste Auschwitz-Prozess 1963 bis1965 schob die lange verdrängte Debatte um deutsche Schuld an.



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Im Schatten von Berlin
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Frankfurt, heimliche Hauptstadt

Obwohl die teils milden Urteile und gar Freisprüche Aufklärer wie Bauer und Wiese eher ernüchterten, ebnete der Prozess den Weg für die weitere juristische Aufarbeitung, für weitere Auschwitzprozesse und eine gesellschaftliche Debatte, die noch immer nicht abgeschlossen ist – weil die Frage in ihrem Zentrum wohl kaum zu beantworten ist: Wie konnten aus gewöhnlichen Bürgern Mittäter in der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie werden? Frankfurt als Prozessort hat seinen Teil zur Aufarbeitung beigetragen.

Die größte Stadt in Hessen war aber auch weit über dieses Thema hinaus immer ein Geschichtsort mit Strahlkraft, ob in segensreicher oder blutiger Manier, obwohl sie im Gegensatz zu Berlin oder Wien nie eine reguläre Hauptstadt gewesen ist. Sie war zwar mehrfach im Gespräch, als Landeshauptstadt Hessens oder gar Hauptstadt der jungen Bundesrepublik, letztlich ging die Mainmetropole jedoch leer aus – und bleibt diesbezüglich unterprämiert. Der Strahlkraft als politische Stadt hat das jedoch nur bedingt Abbruch getan, zumal sie seit jeher Hauptstadtfunktionen wahrgenommen hat – und im politischen Debattierclub Deutschland ohnehin in erster Reihe steht.

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Nicht zuletzt die Frage nach der Schuld der Eltern in Krieg und NS-Herrschaft politisierte eine Generation und sorgte für jahrzehntelange Auseinandersetzungen in den intellektuellen Zirkeln. Das Institut für Sozialforschung an der Goethe-Universität, das von den Nationalsozialisten geschlossen und ins Exil vertrieben worden war, übte nach Wiedereröffnung in der Nachkriegszeit eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf linksbewegte studentische Protestgruppen aus.

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