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#Frankreichs Furcht vor einem schwachen Deutschland

Frankreichs Furcht vor einem schwachen Deutschland

In Frankreich ist der Abschiedsschmerz über das Ende der Ära Merkel besonders groß. Paris beschäftigt die Frage, ob die nächste Bundesregierung ihrer Führungsrolle in der EU angemessen gerecht werden könne. „Die neue Angst vor zu wenig Deutschland“ hat der Politikwissenschaftler Dominique Moïsi einen vielbeachteten Kommentar für das Institut Montaigne überschrieben. Darin analysiert er, dass die politische Elite in Paris seit der Wiedervereinigung die Übermacht des wirtschaftlich überlegenen Nachbarn fürchtete. So habe man stets ein deutsches „Diktat“ in der EU zu verhindern versucht. Doch diese Angst sei jetzt einer neuen Furcht vor einer „schwachen Regierung“ in Berlin gewichen.

Wenn es nach der Bundestagswahl zu einer Dreierkoalition komme, könnten sich die Partner gegenseitig blockieren und weiter reichende Vorstöße verhindern. Moïsi befürchtet dies insbesondere im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, auf die es in den nächsten Jahren besonders ankomme. Deutschland stehe vor einem neuen Normalisierungsprozess. Es müsse sich bewusst werden, dass die europäischen Partner ein stärkeres Engagement der Bundeswehr und für gemeinsame Sicherheitsinteressen erwarteten. Besonders kritisch beleuchtet er die Rolle der SPD. Diese habe sich in Verteidigungsfragen „nur wenig entwickelt“ und „flirtet mit Antimilitarismus“.

Keine Vorlieben erkennen lassen

Die Fernsehdebatten der drei Kanzlerkandidaten wurden vom französischen Sender France 24 übertragen. Dass im „Triell“ kaum europa-, außen- und verteidigungspolitische Fragen angesprochen wurden, wurde in Frankreich mit gewisser Sorge vermerkt. „Es ist nicht das leiseste Anzeichen im Bundestagswahlkampf zu erkennen, dass das Land bereit wäre, sich der geopolitischen Herausforderungen der Zeit anzunehmen“, kommentierte der langjährige französische Botschafter in Washington, Gérard Araud, der zum informellen Beraterstab Präsident Macrons zählt.

Im Elysée-Palast versucht man, der fehlenden Debatte einen positiven Aspekt abzugewinnen. Der breite proeuropäische Konsens habe Bestand, deshalb werde über die Zukunft der EU-Mitgliedschaft weniger diskutiert als in Frankreich. Zugleich wird bedauert, wie wenig in Berlin für die Bürgerdebatten der europäischen Zukunftskonferenz geworben werde. Die Berater Präsident Emmanuel Macrons sind bemüht, keine Vorlieben bei der Kanzlerwahl erkennen zu lassen. Frankreich werde mit jeder Bundesregierung zusammenarbeiten, heißt es. Macron hat sich mit CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im Elysée-Palast ausgetauscht und dabei vor allem über mögliche europapolitische Vorstöße gesprochen. Die Tür stehe auch für die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner offen, der ins Amt des Finanzministers strebt. Bislang seien jedoch keine Terminanfragen beim Präsidenten eingegangen.

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Der amerikanische Abzug aus Afghanistan und der Regimewechsel am Hindukusch stellen aus französischer Sicht einen Bruch dar, auf den die EU reagieren müsse. Im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich erscheint Laschet als der Kandidat, der die größte Kontinuität zur Ära Merkel verkörpert. „Laschet hat viele Gemeinsamkeiten mit Helmut Kohl und eine resolut europäische Ausrichtung“, analysierte Paul Maurice vom Institut Français des Relations Internationales (IFRI). Aber es stelle sich die Frage, ob er stark genug sein werde, die Koalitionspartner mitzuziehen. Frankreich will während der EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 zu einem „Gipfel zur europäischen Verteidigung“ einladen. Das hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union bestätigt und zugleich enge Absprachen mit der NATO betont.

Regierungsbildung möglichst bis Jahresende

Als Albtraumszenario gelten in Paris langwierige Koalitionsverhandlungen, die sich über das Jahresende hinaus hinziehen. Denn für den Erfolg der EU-Ratspräsidentschaft sei man auf eine handlungsfähige Bundesregierung angewiesen. Die Erfahrung mit der Sorbonne-Rede hat den Beraterstab um Macron geprägt. Im September 2017 preschte der Präsident unmittelbar nach der Wahl mit seinen europäischen Ideen vor, damit sie in die Koalitionsverhandlungen einfließen konnten. Jetzt wäre Macron schon froh, vor Jahreswechsel den Nachfolger Merkels in Paris begrüßen zu können.

Merkels Führungsstil erfreut sich hoher Wertschätzung. 75 Prozent der Franzosen haben laut einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos eine positive Meinung von der Bundeskanzlerin. Unter ihrer Führung ist Deutschland für 64 Prozent der Franzosen „ein vertrauenswürdiger Partner in europäischen Fragen“ gewesen. 45 Prozent der Franzosen glauben, dass der deutschen Führungsrolle in Europa eine hohe Bedeutung zukommt. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangt auch der European Council on Foreign Relations (ECFR), der ebenfalls eine Umfrage in Auftrag gegeben hat. In dem nicht in deutscher Sprache erschienenen Artikel „Beyond Merkelism: What Europeans expect of post-election Germany“ werden hohe Erwartungen an die nächste Bundesregierung formuliert.

Merkel sei als europäische Führungsgestalt allgemein akzeptiert worden, was auch eine etwas hypothetische Frage zu ihrer Eignung als EU-Präsidentin belegt. 41 Prozent aller befragten Europäer sprechen sich für Merkel aus, nur 14 Prozent trauen Macron diese Rolle zu. Die nächste Bundesregierung müsse aber Schluss machen mit dem auf einen möglichst breiten EU-Konsens ausgerichteten Führungsstil Merkels, schreibt ECFR-Direktorin Jana Puglierin. Ein Sprung nach vorn in der europäischen Verteidigungspolitik könne nur gelingen, wenn Deutschland klar Position beziehe. Die nächste Bundesregierung müsse Merkels Prinzipien überarbeiten.

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