#Freiwillig ins Impfrisiko?
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„Freiwillig ins Impfrisiko?“
Der Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers Astra-Zeneca hatte in Deutschland keinen leichten Start: Unsicherheiten über die Wirksamkeit bei Senioren, Berichte über heftige Impfreaktionen und nun auch noch die Befürchtung schwerer Nebenwirkungen in seltenen Fällen. Die Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums, bis auf weiteres die Impfungen mit dem Vakzin auszusetzen, ist der vorläufige Höhepunkt in einer ganzen Reihe von Zweifeln. Das mag die Impfbereitschaft einer ohnehin nicht gerade überschwänglichen Bevölkerung schmälern, doch umgekehrt gibt es viele, die den Nutzen des Impfstoffs angesichts einer globalen Pandemie mit Millionen von Todesopfern höher bewerten.
Nicht zuletzt der SPD-Politiker und engagierte Corona-Warner Karl Lauterbach erklärte am Dienstag im Deutschlandfunk unerschrocken, ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der beobachteten schwerwiegenden Hirnvenen-Thrombose sei zwar durchaus plausibel – inzwischen gibt es Berichte von mindestens sieben Erkrankungen mit drei tödlichen Verläufen. Gemessen an den großen Gefahren des Coronavirus, würde er sich aber trotzdem „auf jeden Fall“ impfen lassen. Unverblümter ging es in den sozialen Medien zu, wo intensiv die Frage diskutiert wurde, ob der aufklärte Bürger im Lichte der bisherigen Erkenntnisse nicht selbst entscheiden könne, welche Risiken er für eine Impfung in Kauf nehmen würde. Das Bekenntnis „Ich würde #AstraZeneca sofort nehmen“ macht auf Twitter die Runde. Forsch wurde gefragt: „Wo lagert das Zeug?“
Freiwilligkeit statt Verbotspolitik
Juristisch nüchterner geht die Frage der Münchner Rechtsanwalt Thomas Klindt an. Der Partner der Wirtschaftskanzlei Noerr ist Fachmann für Produkthaftungsrecht und kennt den Impfstoff aus eigener Anschauung. Seine erste Impfung hat er schon hinter sich, auf die zweite möchte er nicht verzichten. Er plädierte dafür, auch in diesem Fall „aufgeklärte Freiwilligkeit“ walten zu lassen, schließlich basiere das gesamte Pharmarecht auf dieser Prämisse. Deshalb gebe es Beipackzettel für Arzneien und seitenlange Aufklärungsunterlagen zu jeder Operation.
Interessant ist die Gemengelage schon deshalb, weil der Impfstoff weiterhin auf EU-Ebene zugelassen ist. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) mit Sitz in Amsterdam teilt die Bedenken bisher nicht. Sie wird am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Allerdings sind die EU-Mitgliedstaaten nicht uneingeschränkt an ihre Einschätzung gebunden. Sie können auch höhere Sicherheitsanforderungen stellen. Deutschland hat nicht als erstes Land die Impfungen ausgesetzt, zuvor hatten fünf europäische Staaten schon ähnlich entschieden, darunter Frankreich, Italien und Spanien. Weitere Staaten, darunter auch Schweden, erklärten am Dienstag, das Vakzin vorerst nicht weiter zu verabreichen.
Spahn: Keine „politische Entscheidung“
In Deutschland war es die Arzneimittelbehörde Paul-Ehrlich-Institut, die am Montag empfohlen hatte, die Nutzung des Astra-Zeneca-Vakzins vorsorglich auszusetzen und die Fälle zu untersuchen. Dem ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit dem Hinweis gefolgt, dabei handele es sich nicht um eine „politische Entscheidung“. Eine Allgemeinverfügung habe Spahn dazu nicht erlassen, erklärte ein Ministeriumssprecher, sondern lediglich die Bundesländer über die Entscheidung informiert. Diese hätten den Stopp umgehend vollzogen. Die Frage der juristischen Grundlage müsste wohl klarer beantwortet werden, wenn schon Haus- und Betriebsärzte mitimpfen dürften, derzeit ist es allein der Staat, der die Impfungen organisiert.
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Für Aufmerksamkeit sorgte eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters, die mit Berufung auf Regierungskreise berichtete, aus juristischen Gründen habe es „keine Alternative“ zur Aussetzung der Impfungen gegeben. Denn nach der Mitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts am Montag hätten ansonsten „Körperverletzungsklagen“ gedroht, da es sich um eine staatliche Impfkampagne handele. Auch wenn der Hinweis auf „Körperverletzungsklagen“ juristisch kaum nachvollziehbar ist – nach Ansicht von Medizinrechtsfachleuten ist jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass Haftungsfragen in Überlegungen über eine Aussetzung der Impfung eine Rolle gespielt haben könnten.
Die Frage, für welche Schäden Hersteller – aber auch Staaten – in die Haftung genommen werden können, hat in den Verhandlungen der Pharmakonzerne mit der EU ausweislich der veröffentlichten Verträge eine gewichtige Rolle gespielt. Dabei hat sich Astra-Zeneca mit der EU auf eine sogenannte Freistellungsklausel geeinigt, die den Hersteller von möglichen Schadenersatzforderungen von geimpften Personen befreit. Für Anwalt Klindt ist das allerdings kein überzeugender Grund. Man könne auf informierter Basis freiwillig fortfahren, schließlich gebe es bei der bewussten Eigengefährdung keinen Raum für Klagen. Die Politik beeindruckt dieses Argument derzeit offenbar nicht. Bis auf weiteres bleibt der Impfstoff von Astra-Zeneca jedenfalls im Kühlschrank.
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