Wissenschaft

#Frühe Zeugnisse mediterraner Bootsbaukunst

Nautische Raffinesse in der Jungsteinzeit: Schon vor über 7000 Jahren waren Menschen im Mittelmeerraum mit überraschend raffiniert gebauten Booten unterwegs, berichten Archäologen. Dies zeigen Untersuchungsergebnisse von fünf Kanus, die am Grund eines küstennahen Sees in Italien entdeckt wurden. Vor allem ein Exemplar zeigt dabei eine Ausstattung, die dem Einsatz von Segeln oder der Konstruktion eines Katamarans gedient haben könnte. Die jungsteinzeitliche Bootsbautechnik ermöglichte wahrscheinlich bereits eine effektive Seefahrt, sagen die Forschenden.

In der Antike gipfelte der mediterrane Schiffsbau in der Konstruktion der großen Handelsschiffe und mächtigen Kriegsgaleeren der Griechen, Phönizier und Römer. Diese Entwicklungen basierten auf einer damals schon alten nautischen Tradition, die über die Bronzezeit hinaus weit in prähistorische Zeit reicht. Dass Menschen bereits früh in der Lage waren, Strecken über das Mittelmeer zurückzulegen, geht aus archäologischen Belegen der Besiedelung von entlegenen Bereichen und Inseln hervor. Auch bei der Ausbreitung der bäuerlichen Lebensweise in der Jungsteinzeit in der Zeit vor rund 8000 Jahren spielte die Seefahrt wahrscheinlich eine wichtige Rolle. Denn recht zügig besiedelten die aus dem Nahen Osten stammenden Kulturträger den Mittelmeerraum und etablierten dort weiträumige Netzwerke.

Direkte Hinweise auf die nautischen Techniken der Jungsteinzeit im mediterranen Raum gibt es allerdings nur wenige. Im Fokus der aktuellen Studie der Forschenden um Juan Gibaja von der Milà i Fontanals Institution in Barcelona standen nun Funde, die aus einer bereits bekannten jungsteinzeitlichen Stätte stammen: „La Marmotta“ befindet sich im Uferbereich des Braccianosee in der italienischen Region Latium. Dieser runde, etwa neun Kilometer breite See ist durch den Fluss Arrone über eine Distanz von nur 38 Kilometern mit dem Mittelmeer verbunden. Seit den 1990er Jahren haben Unterwasserarchäologen in La Marmotta immer mehr Spuren einer bäuerlichen Siedlung der Jungsteinzeit aufgedeckt. Radiokarbondatierungen zufolge bestand sie dort von vor etwa 7700 bis 7150 Jahren.

Fünf Einbäume im Visier

Zu den besonderen Fund-Highlights von La Marmotta gehören auch fünf Kanus, die im Zuge der archäologischen Untersuchungen am Seegrund entdeckt wurden.

Unterwasserarchäologische Erkundung eines Kanus am Fundort La Marmotta im Braccianosee. © Gibaja et al., 2024, PLOS ONE, CC-BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

Die aus ausgehöhlten Bäumen gebauten Boote wurden mittlerweile präpariert und ihre grundsätzlichen Merkmale sind bekannt. Der größte dieser Einbäume ist dabei fast elf Meter lang und weist eine besonders interessante Gestaltung auf. Im Rahmen der aktuellen Studie haben sich Gibaja und seine Kollegen nun der genaueren Untersuchung des Holzmaterials der fünf Kanus gewidmet. Außerdem führten sie Radiokarbondatierungen durch, um zu überprüfen, inwieweit die Boote zu der Datierung der jungsteinzeitlichen Siedlung passen.

Wie die Forschenden berichten, konnten sie bestätigen, dass die Kanus tatsächlich ebenfalls aus der Zeit von vor 7700 bis 7150 Jahren stammen. Die direkte Datierung zeigt damit nun, dass es sich um die ältesten bekannten Zeugnisse der jungsteinzeitlichen Bootsbaukunst im mediterranen Raum handelt, so die Autoren. Aus den Untersuchungen des Materials ging zudem hervor, dass die fünf Kanus aus den Stämmen von vier unterschiedlichen Baumarten hergestellt wurden: Eiche, Erle, Buche und Pappel. Es liegt dabei nahe, dass die Verwendung der unterschiedlichen Holzarten mit der geplanten Nutzung verbunden war.

Seetaugliche Konstruktionen

Anschließend ordneten die Forschenden die neuen Ergebnisse in den Kontext der bekannten Merkmale der Kanus ein und verdeutlichten damit deren Bedeutung für die Einschätzung der jungsteinzeitlichen Bootsbaukunst. Demnach zeichnet sich eine erstaunliche technologische Raffinesse ab. Grundsätzlich war für den Bau der Boote offensichtlich eine organisierte Facharbeit, detailliertes Verständnis von Holzeigenschaften und nautisches Wissen erforderlich. Besonders deutlich wird dies bei dem größten und hochentwickeltsten Boot „Marmotta 1“, für dessen Bau der harte Stamm einer Eiche verwendet wurde.

Diese durchlöcherten Elemente dienten wohl zur Befestigung von Seilen, die mit Segeln oder anderen nautischen Elementen verbunden waren. © Gibaja et al., 2024, PLOS ONE, CC-BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

Wie die Forschenden berichten, war das Kanu mit inneren Querverstärkungen versehen, um die Stabilität zu erhöhen und seine Handhabung zu erleichtern. Bei den spannendsten Bauelementen dieses Kanus handelt es sich allerdings um drei Holzobjekte, von denen jedes eine Reihe von Löchern aufweist. Wahrscheinlich dienten sie zur Befestigung von Seilen, die mit Segeln verbunden gewesen sein könnten. Möglicherweise dienten sie aber auch der Verbindung zu einem weiteren Kanu, sodass ein Katamaran gebildet werden konnte. Diese Merkmale sowie Experimente mit Nachbauten deuten bereits darauf hin, dass das Kanu Marmotta 1 eine seetüchtige Konstruktion dargestellt hat, berichten die Autoren.

Ihnen zufolge wirkte das massive Boot für den ausschließlichen Einsatz auf dem kleinen Braccianosee überdimensioniert. Es ist daher eher zu vermuten, dass es genutzt wurde, um über den Fluss Arrone zur nahen Mittelmeerküste zu gelangen. Dort könnte das technisch fortschrittliche Kanu die Menschen dann durch die Küstengewässer und zu nahen Inseln getragen haben, so die Autoren. So lässt sich auch erklären, wie bestimmte Fundstücke, die aus anderen Regionen und von Inseln stammen, nach La Marmotta gelangt sind.

Vielleicht könnte der spannende Fundort zukünftig auch noch mehr zum Verständnis der jungsteinzeitlichen Bootsbaukunst und Seefahrt beitragen, sagen die Forschenden abschließend: Denn es erscheint gut möglich, dass in La Marmotta noch weitere Boote am Seegrund auf ihre Entdeckung warten.

Quelle: PLOS, Fachartikel: PLoS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0299765

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