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#Fünf Schmeißfliegen für die Ewigkeit

Fünf Schmeißfliegen für die Ewigkeit

Als Gerhard Schröder etwa zum vierten Mal sagt, das Kirchenfenster sei wirklich toll geworden – „große Kunst“ –, ergänzt Markus Lüpertz: „Unabhängig davon, dass ich es gemacht habe, das ist eine tolle Arbeit. Ich habe das gut gezeichnet, und glasmalerisch ist das eine wunderbare Umsetzung.“ Dabei klopft er Rainer Schmitt auf die Schulter, dem Chef von Glasstudio Derix (Päpstliche Hofglasmalerei seit 1908). Man ist an diesem Nachmittag im hessischen Taunusstein, wo in vielen Arbeitsschritten in mehr als einem Jahr das Buntglasfenster gefertigt wurde, ziemlich zufrieden mit sich und der eigenen Arbeit.

Zur formalen Abnahme sind neben den Stiftern, zu denen Kanzler a.D. Schröder zählt, auch Vertreter der evangelischen Kirche gekommen und Lüpertz selbst. Nur eine Stelle, sie sticht ihm nach ein paar Minuten ins Auge, missfällt ihm: „Das muss noch dunkler werden.“ Notiert, wird gemacht. Es ist ein monumentales Werk: Die zwei sechs Meter hohen Teile des Kirchenfensters hängen in der Werkstatt. Eines Tages, wenn sie an ihrem Bestimmungsort eingebaut werden, sollen sie zusammen ein zwölf Meter hohes Fenster ergeben. Wann genau, tja, schwer zu sagen – der Rechtsstreit um diese Frage ist jüngst in Revision gegangen. Der Stiefsohn des Architekten der 1952 wieder aufgebauten Marktkirche in Hannover findet, dass Lüpertz’ Buntglasfenster nicht zum Ambiente des schlichten Kirchenraums passe, und klagte dagegen. Auch manchen Gemeindemitgliedern missfiel der Entwurf.

Umstrittene Fliegen: Das Kirchenfenster für die Marktkirche in Hannover


Umstrittene Fliegen: Das Kirchenfenster für die Marktkirche in Hannover
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Bild: Lucas Bäuml

Was also gibt es zu sehen? Zunächst wehrt Lüpertz sich („Jeder soll sich selbst Gedanken machen“), dann liefert er bereitwillig eine Bildbeschreibung: „Da oben, die schöne Frau, das ist der Tod, der die Arme ausstreckt“, darunter im Feuer „das ist der Beelzebub“. Dann kommen fünf dicke Schmeißfliegen, die über und um Reformator Martin Luther kreisen und die Irritationen auslösten. Der Superintendent des Hannoveraner Stadtkirchenverbandes, Rainer Müller-Brandes, erwähnt die Kritik bloß, um sie gleich zu entkräften. Lüpertz fällt ihm ins Wort: „Ich verstehe das gar nicht. Was haben die Leute denn darin gesehen?“ Er habe doch nur jene Fliegen aufgegriffen, auf die Luther laut Überlieferung bei der Übersetzung der Bibel das Tintenfass geworfen habe – eine Erwiderung gegen den Teufel. Müller-Brandes findet es auch alles andere als „geschmacklos“, so der Vorwurf, es sei viel mehr ein „sehr ästhetisches Fenster“.

Später, als die anderen Prosecco trinken und er Rotwein, hebt der Künstler an: Es sei wie der Mozart, den er für Salzburg geschaffen habe – erst hätten sich viele gegen die (etwas unförmige) Skulptur gewehrt, heute gäbe es „sicher Proteste, wenn sie wegkäme“. Den Protest in Hannover, der jüngst wieder aufflammte, fängt Müller-Brandes ein: „Gut evangelisch: Es gibt unterschiedliche Positionen, aber eine demokratische Entscheidung, an die wir uns halten.“ Eine breite Mehrheit des Kirchenvorstandes habe für den Einbau gestimmt.

Manche in der Gemeinde störte wohl auch das Engagement des Altkanzlers. Der Vorwurf: Baut er sich ein Denkmal in Fensterform? Bei der Abnahme ist Schröder, sonst nicht gerade introvertiert, die meiste Zeit still. Als seine Frau So-yeon Schröder-Kim ihn vor dem Entwurf und dem Fenster allein fotografieren will, sagt er immer wieder: „Ach, lass mal.“ Er wolle ja nicht groß Aufhebens machen. Gruppenfotos werden dann jedoch viele gemacht. Als alle aufgereiht stehen, murmelt Lüpertz: „Da wird der Familienausflug perfekt!“

Gut 15 Jahre sei es her, dass er die Begeisterung für das Licht entdeckt habe. Die Gefahr sei groß, dass bei den Fenstern Kitsch entstehe, weil sie an sich so schön seien. Wichtig ist Lüpertz, dass alles wie im Mittelalter hergestellt wird: von der Glasherstellung über den Zuschnitt, das Verätzen der Farbschichten und die Konturen, die durch das Verlöten geschaffen werden. Es gebe keine neue Kunst, nur neue Künstler. Im alten Metier stelle er sich „dem Vergleich mit Künstlern aus dem 12. oder 13. Jahrhundert“. Auf Jahrhunderte, gar tausend Jahre beziffern die Kunsthandwerker die Haltbarkeit. Lüpertz nickt. Bleibt nur das Gerichtsverfahren.

Das Landgericht Hannover hatte entschieden, dass Religionsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht höher zu werten seien als das Urheberrecht des Architekten. „Da haben die Richter ein schlaues Urteil gefällt“, findet Schröder. Der Kläger aber legte Revision ein. Dass in ihrem Sinne entschieden wird, davon sind in Taunusstein alle Beteiligten überzeugt. Wann genau, das ist fast unerheblich. Es ist ja sowieso ein Projekt für die Ewigkeit.

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