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#Fürchte dich nicht, wenn dir Lou Reed erscheint

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Fürchte dich nicht, wenn dir Lou Reed erscheint

Dieses Album fällt in eine Zeit, in der bedeutende Männer den Heroismus des Verzichts entdecken, im Dienste höherer Ziele einen Schritt zurücktreten, ausführlich davon berichten und einiges Lob dafür ernten. Es wäre also nicht völlig fernliegend, zu behaupten, der Aachener Rapper Danger Dan liefere den Soundtrack dazu, denn seine Musik handelt auch von Männern, die anerkennen, dass es immer jemanden geben wird, der ihnen einen Schritt voraus ist. Eine Frau in Bangkok etwa, die wie Penelope Cruz aussieht und den Fatalismus, gegen systemische Ungerechtigkeiten anzukommen, gegen den effektiven Nutzen abwägt, an Ort und Stelle Sextouristen zu vermöbeln. Was nun doch etwas fern liegt. Jedenfalls geht es um Männer, die ihre Schwächen artikulieren und aufhören, sich dafür zu schämen: „Irgendjemand sammelt Ehrenmedaillen – ich habe schon Teilnehmerurkunden nicht mehr.“

Allerdings ist Danger Dan seit Jahren die bomberjackentragende Antithese eines beliebten Rapsujets, das mittelgroße Egos pneumatisch-plastologisch aufbläst: Früher hat keiner an mich geglaubt, schlimmer noch, ich wurde völlig unterschätzt. Aber am Ende habe ich es doch allen gezeigt: Millionen auf dem Konto, der Maybach auf dem Hof und Neider allerorten. In der Variante des Danger Dan, der auch bereitwillig vom Windelwechseln rappt, sieht das so aus: Sein Aachener Gymnasium wirbt auf Wikipedia mit seinem Namen. Er wiederum, so offenbart es ein Song, erinnert sich noch sehr lebendig daran, wie man ihn dort nach Aktenlage früherer Bildungsstätten beurteilte, ihn für seine Widerworte bestrafte und zu einem Denunzianten erziehen wollte. Nach wenigen Monaten flog er. Noten kann er angeblich immer noch nicht lesen. Ein wenig peinlich ist ihm die späte Rache an seiner Schule dann zwar schon, mit 38 Jahren, aber die Nummer „Ingloria Victoria“ trägt, das dürften auch die Neider eingestehen, die Energie und den Charme der Schulhofhymne in sich, ist voller schräg mit Silben gefüllter Synkopen und schöner Begriffe wie „Repressalienapparat“.

So schön klingt Rap

Nun zur neuen Frank Zappa-Haftigkeit des Danger Dan, der trotz mangelnder pädagogischer Förderung an dieser Stelle als Akademikerrapper durchgehen darf. Mit „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ hat er ein Unplugged-Album aufgenommen. Zu hören sind neben seinem soliden Werk am Klavier eigene Kompositionen für Chor, Geigen und Celli, zu hören sind schwarzhumorige Balladen, und wenn es nicht gerade nach Rio Reiser klingen soll, nach Hilde Knef oder den Comedian Harmonists, dann eben nach Rainald Grebe – in weiten Teilen jedenfalls überhaupt nicht mehr nach dem „Skandalrapper“ der Antilopengang, jener Band, mit der er seit mehr als zehn Jahren politisch unmissverständliche Songs gegen diverse Arten der Diskriminierung veröffentlicht – im vergangenen Jahr erst wieder zwei. Das Album ist voller Songs, die Eltern zur überraschten Ausrufen veranlassen dürften: „So schön klingt Rap!“ Eigentlich nicht. Es sei denn, man misst den Genresprung tatsächlich nach Zappa-Maßstäben aus.

Der titelgebende Track wurde in kurzer Zeit mehr als eine Millionen Mal auf Youtube abgerufen, und er knüpft noch am ehesten an Antilopen-Grundsätze an. Eine Art Protestsong, der mit den Grenzen des Legalen spielt, indem er jene, die sich juristisch absichern, um Antisemitimus und Ausländerfeindlichkeit und Verschwörungstheorien in die Welt zu trompeten, mit ihren Mitteln konfrontiert und die Spielräume der Kunstfreiheit auslotet.

Gauland: natürlich kein Reptiloid. Trotz Ironie und Wortwitz ist die Botschaft drastisch, und wäre es nicht Danger Dan, man fragte sich, ob die Kalaschnikow im Musikvideo nötig war. Aber bei aller Nähe zum Musiktheater: Wer da gerade noch am Flügel saß, ist eigentlich ein Rapper. Der Ort der Darbietung: eine Bühne. Und mit Igor Levit gab es dann ja auch noch einen Auftritt. Jenseits solcher Aufreger ist Danger Dan ein aufgeklärtes, lebensweises, aufrüttelndes Album gelungen. Es handelt vom Ausbrechen aus einem gesellschaftlichen System, das als Höhepunkt einer Arbeitswoche ein Get-Together mit den Kollegen aus dem Startup-Unternehmen vorsieht, von der eigenen Unerheblichkeit und der bestmöglichen Verwertung ebendieser, von der Erkenntnis, das Weltgeschehen nicht verändern zu können, aber sich selbst jeden Morgen im Spiegel ansehen zu müssen (oder Lou Reeds Geist, der einem jederzeit erscheinen kann), vom Versuch, das Beste aus seiner Zeit auf diesem Planeten zu machen, das bedauerlicherweise enden wird (gute Nachricht: heute nicht).

Die Gründe, warum ein Rapper, der Chansons über die großen Fragen des Daseins singt und sich dazu am Klavier begleitet, derart berührt, werden sich vermutlich nie ganz ermitteln lassen. Sie liegen irgendwo in der universellen Kraft der deutschen Musiktradition verborgen, in der Unmittelbarkeit der Instrumentierung und Bereitschaft eines Interpreten, sich selbst ganz unheroisch zum Exempel zu machen.

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