Nachrichten

#Gehören die Sommerferien abgeschafft?

Gehören die Sommerferien abgeschafft?

Dass Erziehung in der modernen Gesellschaft nicht allein den Familien überlassen werden kann, dürften die pandemiebedingten Schulschließungen auch den Zweiflern noch einmal deutlich vor Augen geführt haben. Den Eltern fehlt nicht nur die Zeit, sondern die fachliche und didaktische Kompetenz, um ihre Kinder umfassend auf ein Leben außerhalb der Familie vorzubereiten. Die gesellschaftlichen Erwartungen an die schulische Erziehung gehen jedoch über die Wissensvermittlung hinaus. Schulen sollen die familiäre Erziehung nicht nur ergänzen, sondern auch dafür sorgen, dass alle in gleicher Weise von Bildung profitieren. Doch Familien bereiten ihre Kinder unterschiedlich gut auf schulische Anforderungen vor. Deshalb läuft die in der Schule übliche Gleichbehandlung, so eine Kritik der Bildungssoziologie, auf eine Bevorzugung derjenigen Schichten hinaus, die ihren Kindern die besten Startvoraussetzungen bieten. Gegen die Perpetuierung oder gar Verstärkung solcher Ungleichheiten haben sich viele Pädagogen dem Ideal einer „kompensatorischen Erziehung“ verschrieben, die eine Benachteiligung durch die sozioökonomische Herkunft ausgleichen soll.

Doch ist die Schule überhaupt in der Lage, soziale Ungleichheiten zu kompensieren? Diese Frage kann anhand empirischer Daten nur auf Umwegen überprüft werden. Das liegt daran, dass man den Einfluss der Schule nur schwer isolieren kann: Schulische und nichtschulische Einflüsse stehen im Lebenslauf nebeneinander und interagieren miteinander. Eine Versuchsanordnung, die Kinder, die in der Schule erzogen werden, mit jenen vergleichen könnte, für die das nicht gilt, ist aufgrund der allgemeinen Schulpflicht gar nicht denkbar. Möglich ist aber der Vergleich von Phasen des Schulbesuchs mit den Ferien: Die besonders in den USA recht langen Sommerferien können als eine Art natürliches Experiment aufgefasst werden, wo sich primär schulische und primär familiäre Phasen der Erziehung vergleichen lassen. Die Auswertung von Leistungstests kam zu dem Ergebnis, dass Kinder aus sozioökonomisch bessergestellten Familien während der Ferien ihre Leistungsniveaus verbesserten, während die anderen stagnierten. Weniger Ferien, mehr Schule wäre demnach eine Strategie, um den Einfluss der Herkunft zu verringern.

Leistungen in Deutsch sind eher altersabhängig

Eine aktuelle Studie meldet an dieser – für Pädagogen sicherlich ermutigenden – Botschaft jedoch Zweifel an: Einerseits wurde der Kompensationseffekt schulischer Erziehung aufgrund fehlerhafter Berechnung offenbar überschätzt, andererseits bedeuten die Sommerferien keineswegs nur fehlenden Unterricht, sodass sie als Kontrastfolie nicht aussagekräftig sind. Zudem können solche Studien in Ländern mit kürzeren Ferien kaum durchgeführt werden. Die eigentlich fällige Schlussfolgerung, man müsse die Sommerferien verkürzen oder abschaffen, dürfte in der Praxis bei jenen, die davon profitieren sollten, ohnehin wenig Anklang finden.

Diese Untersuchung wählt deshalb einen anderen Weg, um den Zusammenhang zwischen Schulbildung und sozioökonomischem Status zu analysieren. Sie nutzt Daten des deutschen Nationalen Bildungspanels (NEPS) zu mehr als 6000 im Herbst 2012 eingeschulten Kindern. Die Forscher machen sich zunutze, dass die darin enthaltenen standardisierten Leistungstests zu verschiedenen Zeitpunkten während des Schuljahrs stattfanden und damit eine ganze Bandbreite an Verweildauern im Bildungssystem abbilden. So lässt sich bestimmen, welchen Einfluss die Dauer schulischer Erziehung auf die Leistungen hat und wie dieser mit sozioökonomischen Faktoren interagiert. Es sollte nicht überraschen, dass ein positiver Einfluss des Schulbesuchs auf die Leistungen nachgewiesen werden kann. Dieser fällt allerdings in Mathematik und Naturwissenschaften ausgeprägter aus als in Deutsch, wo fast die Hälfte der Leistungsverbesserung auf das Lebensalter zurückgeht, also auf die kognitive Entwicklung und äußere Umstände. Nur für die Rechenfähigkeiten kann darüber hinaus gezeigt werden, dass sozioökonomisch bedingte Unterschiede durch das erste Schuljahr verringert werden, wenn auch nur in geringem Ausmaß.

Insgesamt kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass alle vom Unterricht profitieren, und dies weitgehend unabhängig von familiärer Herkunft. Das heißt: Der Schulbesuch verstärkt sozioökonomische Ungleichheiten nicht, aber er kann sie auch nicht kompensieren. Dieses Ergebnis mag jene enttäuschen, die sich von der Schule einen größeren Beitrag zur Chancengleichheit erhoffen. Die praktischen Schlussfolgerungen dürften aber zumindest bei den Betroffenen für Erleichterung sorgen: Die Sommerferien können bleiben, und die Kinder müssen auch nicht früher eingeschult werden, um soziale Ungleichheiten zu bekämpfen.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!