#Gejagte regieren länger
Inhaltsverzeichnis
„Gejagte regieren länger“
Bojko Borissow ist ein Phänomen in der bulgarischen Politik. Kein Politiker in dem Balkanstaat hat sich so lange an der Spitze halten können wie der ehemalige Leibwächter und Feuerwehrmann, der 2005 zum Bürgermeister der Hauptstadt Sofia gewählt wurde, bevor er vier Jahre später in die nationale Politik ging. Erstmals trat Borissows Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“, kurz Gerb, im Jahr 2009 bei einer Parlamentswahl an und lag mit fast 40 Prozent der Stimmen auf Anhieb deutlich vor der politischen Konkurrenz.
Michael Martens
Korrespondent für südosteuropäische Länder mit Sitz in Wien.
Seither wurde Gerb, wenn auch bei sinkender Tendenz, bei drei weiteren Parlamentswahlen in Bulgarien jeweils zur stärksten politischen Kraft. Und es deutet einiges darauf hin, dass der Partei des langjährigen Ministerpräsidenten ein solcher Erfolg an diesem Sonntag zum fünften Mal in Folge gelingen wird.
Vorsprung gering wie noch nie
In Bulgariens politischer Landschaft, in der seit der Wende vor gut dreißig Jahren zahlreiche Parteien strahlend erschienen und meist schon nach einer Legislaturperiode wieder verglüht sind, ist das eine Ausnahme. Allerdings lassen die Umfrageresultate der vergangenen Woche auch vermuten, dass der Vorsprung von Gerb so gering wie nie ausfallen wird. Die Partei des bisherigen Regierungschefs kann sich zwar weiterhin auf eine Stammwählerschaft von etwa 20 Prozent verlassen, wird aber voraussichtlich mindestens zwei Koalitionäre benötigen, um weiterregieren zu können.
Die Partnersuche könnte indes schwierig werden, da die meisten Kräfte der Opposition mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen sind, das „System Borissow“ zu Fall zu bringen und keinesfalls mit Gerb zu regieren. Bulgarien wurde in den vergangenen Jahren von zahlreichen Korruptionsfällen erschüttert, nicht zuletzt durch eine Affäre um Bilder von Gold, Geldbündeln und Waffen in Borissows Schlafzimmer, über die der Ministerpräsident in einem ausführlichen Interview mit der F.A.Z. Auskunft gab.
Wissen war nie wertvoller
Vertrauen Sie auf unsere fundierte Corona-Berichterstattung und sichern Sie sich F+ drei Monate lang für 1 € je Woche.
JETZT FÜR 1 €/WOCHE LESEN
Eine Mehrheit der bulgarischen Gesellschaft ist längst gegen Borissow und die Hinterzimmerpolitik, mit der er in Verbindung gebracht wird. Allerdings sind die oppositionellen Kräfte dermaßen uneinheitlich und zum Teil widersprüchlich in ihren Aussagen oder Forderungen, dass sich aus der Mehrheit gegen Borissow nicht zwangsläufig eine funktionierende politische Option zu seiner Ablösung ergibt. Anders gesagt: Die Mehrheit gegen Borissow muss erst noch beweisen, dass sie sich auch zu einer handlungsfähigen Mehrheit für Bulgarien zusammenfinden kann.
Ein Grund dafür ist, dass die stärkste Oppositionskraft des Landes zugleich jene ist, die am wenigsten glaubwürdig einen Aufbruch verkörpern kann: Bulgariens Sozialisten, geführt von der immer wieder auf nationalistische Töne zurückgreifenden Parteichefin Kornelija Ninowa, stehen für die Vergangenheit, nicht für die Zukunft. Vessela Tschernewa, einst Sprecherin des bulgarischen Außenministeriums, heute für das Sofioter Büro der Denkfabrik „Europäischer Rat für auswärtige Angelegenheiten“ tätig, beschreibt die Sozialisten als rückwärtsgewandte Partei, die keine Antwort auf die wichtigen Fragen des Landes habe. Sie biete ehemalige Geheimdienstler aus kommunistischer Zeit sowie andere dubiose Figuren als Kandidaten auf. „Sie tun Herrn Borissow damit immer wieder einen großen Gefallen“, sagt Tschernewa.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.