Nachrichten

#Gewerkschaft statt Game Over: Sega unterzeichnet Tarifvertrag

In der Videospielindustrie hat zum ersten Mal ein namhaftes Unternehmen einen Tarifvertrag ratifiziert. Segas Schritt ist ein überfälliges Zeichen für eine Kreativbranche, deren Arbeitsbedingungen als „toxisch“ gelten.

Nicht jede Branche hat einen so öffentlichkeitswirksamen Gewerkschafter wie Claus Weselsky. Nicht jede kann sich einen leisten. Und doch hat der Gewerkschafter mit seinem kompromisslosen Arbeitskampf neue Diskurse angestoßen, die auch auf andere Branchen einwirken. Nur schienen einige von jenen Industriezweigen, die noch keine gewerkschaftlichen Strukturen haben, immun dagegen. Auch die Videospielindustrie.

Als Teil der Technologie- und Unterhaltungsbranche hat sie sich in der letzten Dekade durch Investitionen in Milliardenhöhe und eine permanente Expansion ausgezeichnet. Trotz der starken wirtschaftlichen Entwicklung gibt es in der Industrie rund ums Gaming momentan große Entlassungswellen. Nach einem rasanten Wachstum in den Corona-Jahren wird die Stagnation nun mit menschlichen Ressourcen kompensiert.

Inmitten dieses Umbruchs sticht die nordamerikanische Niederlassung des japanischen Unternehmens „Sega“ hervor. Es ist der erste namhafte US-amerikanische Videospielproduzent, der einen Tarifvertrag ratifiziert hat. Zwar versprechen die Konditionen nur ein schwaches Level-up, doch legen sie im besten Falle das Fundament für eine größere Bewegung.

In den USA haben es Gewerkschaften schwer. Nicht nur weil republikanische Politik sie immer wieder schwächt, sondern auch weil sich ein kollektives Misstrauen gegen Ideen links der politischen Mitte hartnäckig zu halten scheint. Dazu kommt das „Union Busting“, die professionalisierte Zerschlagung von Gewerkschaften. Die Videospielindustrie ist zudem ein schwieriges Feld: Ihre Produktionsbedingungen sind von einer hohen Fluktuation und dezentralen Strukturen geprägt.

Der Markt wird von mehreren Nationen umkämpft, die Arbeitslast ist hoch, die Verträge oftmals befristet. Gleichzeitig ist die Produktion kostspielig, und eine Entwicklung kann finanziell leicht aus dem Ruder geraten. Das bewies zuletzt der Entwickler „Ubisoft“, der über elf Jahre an dem Piratenspiel „Skull and Bones“ tüfteln ließ, nur um es anschließend nach mehr als 200 Millionen investierter US-Dollar vollmundig zu versenken.

Er gilt vorerst nur für rund 150 Mitarbeiter

In der Spieleentwicklung fallen Entscheidungen oft kurzfristig. Ähnlich kurzfristig sind die Verträge. Befristungen auf wenige Jahre oder gar Monate sind keine Seltenheit, wie auch die Arbeit mit Freiberuflern. In einem derartigen Klima haben Gewerkschaften es schwer. Und doch ist der Vertrag im Hause Sega seit dem 26. März ratifiziert. Er gilt zwar vorerst nur für rund 150 Mitarbeiter, trotzdem setzt er ein deutliches Zeichen. Erkämpft hat ihn die Gewerkschaft mit dem sperrigen Namen AEGIS-CWA. „AEGIS“ steht für „Allied Employees Guild Improving Sega“, während „CWA“ die Dachgewerkschaft „Communications Worker of America“ kennzeichnet. Diese setzt sich seit 1947 für Arbeitnehmer in Kommunikationsbetrieben ein und ist mit knapp 700.000 Mitgliedern eine der größten Gewerkschaften der USA.

Was besagt nun der Vertrag, der für die 150 „Sega“-Mitarbeiter ab diesem Jahr gilt? Ihr Lohn soll in diesem Jahr um vier Prozent angehoben werden, im Folgejahr um drei Prozent. 2026 soll er noch einmal um zweieinhalb Prozentpunkte steigen.

Ein Claus Weselsky hätte sich damit wohl kaum zufriedengegeben. Dazu werden europäische Standards wie eine Krankenversicherung in dem Vertrag als Zusatz angeführt. Er enthält auch einen wichtigen Hinweis zur Künstlichen Intelligenz, die die Tech-Branche momentan in Atem hält: Jeder soll im Voraus über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Entwicklung informiert werden. Das liest sich wie eine Kündigung mit Vorlauf anstelle eines nachhaltigen Umgangs mit den Arbeitsplätzen.

Viele Berufe in der Tech-Industrie sehen sich von der rasanten Entwicklung von KI-Werkzeugen bedroht. Bilder malen sich mit „Midjourney“ inzwischen quasi von selbst, „Runway“ versetzt sie in filmische Bewegung. Auch das komplexe Programmieren wird von der Künstlichen Intelligenz revolutioniert. Verständlich, dass die Entwickler angesichts dieser quasi selbst geschaffenen Tatsachen Gewissheit fordern. Doch garantiert der Tarifvertrag keinerlei Schutz davor. Er bleibt eine simple Warnung davor, dass man eine Technik einsetzt, die sich am kreativen Prozess anderer bereichert.

Wenn Entwickler fast rund um die Uhr arbeiten

Abseits der aktuellen Entlassungen und prekären Verhältnisse ist die Spieleindus­trie auch für problematische Arbeitsbedingungen berüchtigt. Wenn Entwickler fast rund um die Uhr arbeiten und die Überstunden nicht einmal bezahlt werden, nennt sich das „Crunch“. Oft passiert das in der finalen Entwicklungsphase, und selbst namhafte Studios mit preisgekröntem Ruf wie „Naughty Dog“ (The Last of Us) und „Rockstar Games“ (Grand Theft Auto; Red Dead Redemtion) setzen ihre Belegschaft unter Druck. Dass ein solcher Missbrauch überhaupt erst möglich ist, liegt auch an der mangelnden gewerkschaftlichen Organisation.

Die anschließenden PR-Mitteilungen der Konzerne versprechen zwar Besserung, das bleibt jedoch folgenlos. Auch Felix Falk, Geschäftsführer von „game“, dem „Verband der deutschen Game-Branche“, weiß um die Nachteile der Überbelastung: „Der sogenannte ‚Crunch‘, also die vielen Überstunden am Ende eines Projekts, verbessert weder die Qualität des Spiels noch ist es effizient oder nachhaltig.

Deshalb haben viele Games-Unternehmen in den vergangenen Jahren ihr Projektmanagement deutlich weiterentwickelt und verbessert.“ In der Bundesrepublik sieht er deutliche Vorteile: „Neben den hohen Arbeitnehmerrechten gibt es in Deutschland zudem aufgrund des im Vergleich mit den USA deutlich strengeren Arbeitsschutzes klare Grenzen bei den Arbeitszeiten.“

Das Zusammenspiel aus Entlassungswellen, der Künstlichen Intelligenz und den Arbeitsbedingungen zwingt die Branche zu Veränderungen. Die ersten Schritte zur Gewerkschaft sind noch zaghaft, aber förderlich. Doch für einen Arbeiterschutz, der diese Bezeichnung ernst nimmt, braucht die Spieleindustrie noch einige Level-ups.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!