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#Godzilla der Pointe

Godzilla der Pointe

Das hier ist sentimentales Fernsehen: aus einer Stadt, in die man momentan nicht reisen kann und zugleich auch nie wieder, weil es sie nicht mehr gibt. Und über eine Frau, deren Selbstverständnis und -darstellung in einem Ausmaß den Stil und Witz des vergangenen 20. Jahrhunderts verkörpert, dass einem fast die Tränen kommen. Fran Lebowitz heißt sie, Weggefährtin berühmter Bewohner New Yorks (Leonard Bernstein, Frank Sinatra, Charlie Mingus), Zeitzeugin der großen Umbrüche in der Geschichte dieser Stadt – von den sozialen und sexuellen Emanzipationsbewegungen seit den sechziger Jahren über den Immobilienboom der Achtziger bis zum 11. September 2001.

Tobias Rüther

Tobias Rüther

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Der amerikanische Regisseur Martin Scorsese hat für Netflix ein siebenteiliges Porträt seiner Freundin Fran Lebowitz gedreht – und über ihre gemeinsame Heimatstadt New York: „Pretend it’s a City“ erzählt in Gesprächen und Straßenszenen von einem Leben im und mit Sonderbewusstsein: New York, das bin ich. Und New York ist so, weil ich dort lebe. Und ich lebe dort, weil es anderswo nicht ging.

So eine Behauptung – ich bin typisch für meine Stadt, so wie sie für mich – kann man nur aufrechterhalten, wenn man sie permanent mit Argumenten stützt, und das ist letztlich zum Beruf dieser außergewöhnlichen Frau geworden (die übrigens aus New Jersey zuzog). Lebowitz, siebzig Jahre alt, ist eine legendäre Figur des amerikanischen öffentlichen Lebens. Eine Autorin, die jung mit Kritiken für Magazine wie Warhols „Interview“ berühmt wurde. Und mit achtundzwanzig ein Buch schrieb, „Metropolitan Life“ von 1978, das stilbildend wurde für jene Art von diagnostischem Schreiben über die Gegenwart und ihre Moden und Psychosen, die man bis heute vor allem in Stadtmagazinen und Feuilletons findet.

Lebowitz selbst aber schreibt kaum noch. (Seit sie dafür bezahlt wird, hasst sie das Schreiben, sagt sie einmal.) In Magazinen wie „Vanity Fair“ sieht man Lebowitz deswegen eher auf Partyfotos, als dass man dort von ihr liest, immer gekleidet in ihre Uniform aus Jeans, Blazer, Hemd und Cowboystiefeln. Aber sie ist bis heute ein perfekter Talkshow-Gast. Deswegen inszeniert Scorsese sie auch genauso, wenn er nicht aus alten Auftritten bei David Letterman zitiert: Lebowitz, im Gespräch mit dem Regisseur und Stars wie Alec Baldwin, Spike Lee und Olivia Wilde. Wie sie auf Stichworte lauert (Internet, Yoga, die „jungen Leute“ generell, #MeToo, Bücher), um dann so lange Erkenntnisse abzufeuern, bis sie bei einer letzten Pointe herauskommt. Die ihr Publikum und vielleicht auch sie selbst am Anfang der Frage gar nicht kommen gesehen haben. Weswegen sich Lebowitz denn oft gemeinsam mit allen anderen freut: „Musik“, sagt sie etwa, „ist wie eine Droge, die nicht killt.“

Ihr dankbarstes Publikum ist übrigens Scorsese. Der lacht schon, sobald Lebowitz nur den Mund aufmacht. Aber Scorsese hatte auch den genialen Einfall, seine Freundin in jenes Modell der Stadt New York zu stellen, das 1964 für die dortige Weltausstellung gebaut wurde und heute im Queens Museum steht.

Und dort wandert Lebowitz redend zwischen Wolkenkratzern auf dem East River, wie ein Godzilla der Pointen („Kein Mensch kann sich New York leisten, und doch leben hier acht Millionen“, „Wenn man älter als vierzehn ist, hat man keine Zeit mehr, auf den Bus zu warten“). Das ist elegant subversiv. Und ein Sinnbild für die streitbare Unfehlbarkeit der Fran Lebowitz, die nur selten einräumt, einmal im Gespräch mit Spike Lee über Basketball, dass sie sich in ihrer dominanten Weltskepsis auch mal irren könnte: Das, was sie betrachtet, sind Modelle der Wirklichkeit. Aber mehr, als sie anzufertigen, wird nie gelingen, angesichts der unendlichen Rätsel einer Stadt und des Lebens, das sie ermöglicht. „Wenn ich irgendetwas ändern könnte, wäre ich nicht so wütend“, sagt Fran Lebowitz einmal. „Die Wut kommt daher, dass ich keine Macht habe, aber lauter Meinungen.“

Pretend it’s a City, auf Netflix

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