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#Haarsträubendes hat der Primat zu bekennen

Haarsträubendes hat der Primat zu bekennen

„Sie sind der Autor, und ich frage nur ungern, aber worum geht es eigentlich in dieser Geschichte? Was ist das Thema?“ Die irritierten Fragen seines Lektors – und die mögliche Verwirrung weiterer Leser – hat Haruki Murakami selbstironisch gleich eigenhändig in sein Buch hineingeschrieben. Und tatsächlich ist schwer zu sagen, wovon die Erzählungen in seinem jüngsten Band handeln. Dabei erscheint der Titel grammatikalisch doch so klar: „Erste Person Singular“, was offensiv Autobiographisches von dem in seinem magischen Realismus systematisch mit den Spuren des Ichs spielenden japanischen Großschriftstellers verheißen könnte.

Ursula Scheer

Doch dazu ist die in vier Jahrzehnten kultivierte Kunst Murakamis selbstverständlich viel zu raffiniert. Was vordergründig daherkommt wie neun Erzählungen von eleganter sprachlicher Schlichtheit, die lose an das vertraute Konzept der Novelle um eine unerhörte Begebenheit anknüpfen, spürt ein ums andere Mal der bloßen Ahnung von Bedeutsamkeit nach. Geweckt wird diese von Identität stiftenden oder verneinenden Begebenheiten, die sich beinahe unter der Aufmerksamkeits- oder Erinnerungsschwelle abspielen und ex post erzählt – also erfunden – werden. Den Erzähler lassen sie mit seinen Sinnfragen stets ohne Antworten zurück.

Semiotische Skrupellosigkeiten

Wenn er dabei in einer heißen Schwefelquelle sitzt und sich von einem sprechenden Affen den Rücken schrubben lässt, muss das keine unangenehme Erfahrung sein. Benebelt vom Dampf, weiß der Ich-Erzähler selbst nicht recht, was tatsächlich, was eingebildet ist, stellt aber den Affen als wirkliche, nicht figurative Gestalt vor und seift uns Leser umso lustvoller ein. Haarsträubendes hat der Primat zu bekennen, semiotische Skrupellosigkeiten, von denen Literaten nur träumen können: Mehr als den Namen einer Angebeteten, stets eines weiblichen Menschen, braucht das Tier nicht für platonische Übergriffe amouröser Natur, die das Zeichen der Angeschwärmten vom Bezeichneten trennen. Statt dem mythomanischen Affen, einem ethologisch zwischen die Gattungsgrenzen geratenen Animal symbolicum, etwa Lancan’sche Sentenzen vom Begehren ins Maul zu legen, lässt Murakami ihn herzwärmende Kalenderweisheiten verbreiten: „Ich glaube, dass die Liebe der Brennstoff ist, der uns am Leben hält.“ Wer wollte da widersprechen?

In einem Kreis mit vielen Mittelpunkten

Allein diese Kurzgeschichte ist nicht neu, sondern schon 2006 in dem gleichfalls von Ursula Gräfe übersetzen Sammelband „Blinde Weide, schlafende Frau“ auf Deutsch erschienen. Mit ihrer phantastischen Fabulierfreude überschreitet sie den realbiographischer anmutenden Rahmen der anderen Erzählungen, ist ihnen aber mit gutem Recht zugeordnet. Jede bewegt sich im schmalen Spalt zwischen den Worten und den Dingen – oder Menschen. In diesem traumhaft unbestimmten Raum streift eine mögliche Quintessenz, eine Moral von der Geschicht’ oder der Sinn des Ganzen den Erzähler flüchtig wie ein Schatten.

In der Geschichte „Crème de la crème“, die von einer erst ins Nichts, dann neben einen prophetischen Alten führenden Einladung handelt, findet Murakami dafür das schöne Bild vom „Kreis mit vielen Mittelpunkten“. In der Betrugsgeschichte „Carnaval“, leitmotivisch getragen von der Begeisterung der Figuren für Robert Schumanns gleichnamigen Klavierzyklus, formuliert er: „Sein Spiel reißt niemandem die Maske vom Gesicht, sondern durchweht wie ein sanfter Luftzug den Spalt zwischen Maske und wahrem Gesicht.“ Das gilt auch für Murakamis Schreiben.

Blickt in die eigene Vergangenheit: Haruki Murakami.


Blickt in die eigene Vergangenheit: Haruki Murakami.
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Bild: AP

Überhaupt die Musik und die Gesichter: Letztere verschwimmen wie die Namen verflossener Geliebter in der Erinnerung bis zur Unkenntlichkeit oder werden offensiv ausgespart oder verneint – gewissermaßen köpft Murakami viele seiner Figuren, besonders die weiblichen. Die Musik dagegen wirkt als Takt- und Haltgeber des wehmütig auf Jugendtage gerichteten Erzählens. Murakami ohne die Leidenschaft für Klassik, Jazz und Baseball? Undenkbar. Herrlich, wie er, zu seinen Anfängen als Autor zurückkehrend, die schöpferische Kraft der Worte in „Charlie Parker plays Bossa Nova“ feiert: Die Rezension einer schon dem Titel nach offensichtlich fiktiven Platte wird in einem New Yorker Laden Jahre später zum Bumerang, der allerdings so schnell vorbeisaust, dass kein anderer als der Erzähler ihn sehen kann. „With The Beatles“ enthält eine ähnliche Epiphanie, begleitet vom Bekenntnis, eigentlich nie besonders viel für die Musik der „Fab Four“ übrig gehabt zu haben. Doch ihnen verdankt er – Murakami ist Jahrgang 1949 – mehr als den Sound eines Lebensabschnitts, nämlich diesen einen strahlenden Moment, der weit in die Zukunft hinein leuchtet. Als der Erzähler 1964 in der Oberschule ein wunderschönes Mädchen mit einer Beatles-LP vorbeilaufen sieht, schrillt „eine kleine Glocke“ ihm in den Ohren, während die folgende Romanze mit einer Anderen von vager Stille begleitet wird, schließlich Todesstille.

Durchlöcherte Vergangenheit

Je älter jemand wird, der sich erinnert, desto durchlöcherter von Verlusten ist das Vergangene. Bei Murakami ist das nicht anders. Aus den Jugendlichen von einst sind Senioren geworden – eine Unbegreiflichkeit wie so vieles, eigentlich alles im Leben. Die Wendepunkte des eigenen Weges gehen auf in historischen Epochenjahren: 1968 war „das Jahr, in dem ,I Only Live Twice‘ von den Folk Crusaders ein Riesenhit war, Martin Luther King und Robert Kennedy ermordet wurden und Studenten am Internationalen Antikriegstag den Bahnhof Shinjuku besetzten“. Aber es war eben auch „das Jahr, in dem Haruki Murakami Fan der Sankei Atoms wurde“: einer notorisch auf der Verliererseite stehenden Baseballmannschaft, die gerade dadurch poetische Lektionen fürs Leben erteilten konnte. Im Labyrinth des Alltäglichen wird rückblickend bedeutungsvoll, was sich als einschneidendes Ereignis herausgestellt hat. Kaum einer spürt den Nichtigkeiten, in denen alles folgende angelegt sein kann, so meisterlich nach wie Haruki Murakami.

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