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#Hamlet der Graue

Hamlet der Graue

Mitte des neunzehnten Jahrhunderts behauptete William Macready, der größte Hamlet seiner Generation, dass kein Schauspieler diese Rolle voll auszufüllen vermöge, bis er zu alt für sie sei und über die erforderliche Reife, Weisheit und Lebenserfahrung verfüge, die sich der Jugend entziehe. Anders als sein brummiges Teenagerverhalten oder Laertes‘ Bemerkung über „ein Veilchen in der Jugend der Natur“ suggerieren mögen, hat Hamlet wohl die erste Jugendblüte hinter sich gelassen. Den Worten des Totengräbers ist zu entnehmen, dass er dreißig Jahre alt ist. Im Laufe der Bühnengeschichte ist er in vielen Gestalten dargeboten worden, unter anderem von Sarah Bernhardt, die ihn 1899 mit Mitte fünfzig als ausgesprochen knabenhaftes Wesen verkörperte.

Gina Thomas

Feuilletonkorrespondentin mit Sitz in London.

Dass sich jetzt mit Ian McKellen ein Veteran von zweiundachtig Jahren der Herausforderung stellt, ist ein Ereignis für das Buch der Rekorde. Die Nachricht ging denn auch wie ein Lauffeuer durch die Theaterwelt. Die Pandemie hat die Spannung noch zusätzlich angefacht, denn Inszenierung in dem charmanten Theatre Royal Windsor am Fuß der königlichen Burg musste immer wieder verschoben werden. Ein Tag nach der lauthals angekündigten Befreiung von den Pandemie-Beschränkungen, mit der hohe Erwartungen verbanden, konnte die Premiere nun endlich vor vollem Haus stattfinden. Die freiheitsliebenden Briten fügten sich fast alle der dringenden Empfehlung des Theaters, eine Maske zu tragen.

McKellen stand zuletzt vor fünfzig Jahren als Hamlet auf der Bühne. Er gesteht selber, der Rolle damals nicht gerecht geworden zu sein. Ein spitzzüngiger Rezensent bemerkte dazu, McKellens größte Leistung sei die Verbeugung nach dem Vorstellungsende gewesen.

Jetzt tritt McKellen zuerst in viktorianischer Trauerkleidung vor das Publikum: mit Zylinder, Gehrock und starrer Miene unter der dunklen Brille. Dann dreht er synchron mit den anderen, eine lange Reihe von einem Bühnenende zum anderen bilden bildenden Darstellern, den Zuschauern den Rücken. Dabei spannt die Gesellschaft den Regenschirm langsam auf, unter dessen Schutz sie im Schnee der heuchlerischen Traueransprache des Königs lauscht, mit der diese auf die erste Szene verzichtende Aufführung beginnt.

Selbst von hinten gibt die verkrampfte Körperhaltung die Bitterkeit zu erkennen, mit der Hamlet die Worte seines verhassten Stiefvaters wahrnimmt. Es ist der malerischste Moment in Sean Mathias‘ atemlos hektischer Inszenierung. Auf weniger als drei Stunden gestutzt, findet sie in der zeitlos finstren Gefängniskulisse des Bühnendekorateurs Lee Newby statt. Mit der Helldunkel-Beleuchtung, dem Widerhall zuknallender Metalltüren und klappernder Stufen wirkt sie wie eine moderne Auflage von Piranesis Kerkervisionen. Die Gefängnismetapher ist für die bedrohliche Welt von Helsingör, der Hamlet nicht entrinnen kann, schon unzählige Male bemüht worden. Hier ist es bisweilen, als befänden sich alle in der geschlossenen Psychiatrie, ein Eindruck, der durch die im Zuge des Geschehens geschorenen Köpfe Hamlets, Ophelias und Gertrudes bestärkt wird.

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