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#„Ich gehe da nicht hin“

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„„Ich gehe da nicht hin““

Nennt mich Uljana Schewtschenko. Das ist ein Deckname, den ich benutzen muss, weil die Russen meine Stadt besetzt haben. Für eine Künstlerin ist es nicht leicht, den Namen zu wechseln, aber es muss sein.

Konrad Schuller

Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Meine Stadt ist Cherson im Süden der Ukraine. Viele sprechen hier Russisch, und deshalb sagen die Orks: Da leben Russen. Auf mich trifft das nicht zu und auf viele meiner Freunde auch nicht, auch wenn wir mit Russisch aufgewachsen sind. Ich bin zweisprachig, und das geht so: Auf der Arbeit spreche ich Ukrainisch und auf Facebook auch. Aber zu Hause sprechen wir Russisch. Manche meiner Freunde lehnen das Russische jetzt total ab. Ich nicht, ich benutze beide Sprachen. Aber vielleicht kann ich das nur deshalb, weil ich nicht so viel gelitten habe wie andere.

Dass Putin unsere Stadt jetzt durch ein Referendum annektieren will, ist für uns keine Überraschung. Ich glaube, er macht das wegen seiner Mobilmachung zu Hause. Das geht leichter, wenn er seinen Bürgern sagen kann: Cherson und die anderen ukrainischen Gebiete, die wir besetzt haben, das ist ja Russland. Aber jeder weiß ja, dass dieses Referendum sowieso einen Dreck wert ist. In Cherson ist nur noch ein Viertel der Leute da, der Rest ist weg. Wie sollen die paar, die geblieben sind, denn den „Willen des Volkes“ ausdrücken können?


Bild: Illustration: Uljana Schewtschenko

Sorry, gerade war die Verbindung weg. Während wir gesprochen haben, hat es irgendwo Explosionen gegeben. Mein Mann und mein Sohn sind mit dem Fahrrad draußen, und meine Schwiegermutter macht sich Sorgen.

Zwei Tage nach Kriegsbeginn bestanden meine Eltern darauf, dass wir zu ihnen ziehen, denn sie haben einen Keller mit Betondecke. So rannten wir mit einer Katze im Rucksack zum Klang der Sirenen durch die engen Straßen des Wojenka-Viertels. Von den Explosionen und Schüssen bekam ich Panikattacken. Heiße Wellen liefen durch meinen Körper, der Magen drehte sich um, das Herz begann wild zu schlagen. Ich begann zu würgen, die Arme und Beine zitterten. Ich konnte nicht schlafen, weil ich Angst hatte, dass ich meinen Sohn und meinen Mann nicht retten könnte. Jetzt habe ich keine Angst mehr, denn meine Familie und ich leben schon ein halbes Jahr unter Besatzung. Wir versuchen nur, alle Plätze zu meiden, wo was einschlagen kann. Wenn nötig, nehmen wir dann auch längere Wege zum Supermarkt in Kauf.

Wir wollen nur noch befreit werden. Und wenn es dann durch die Kämpfe Zerstörungen gibt – ich bin bereit, im Keller zu sitzen, um am Ende, wenn wir wieder rauskommen, auf den Straßen unsere Soldaten zu sehen.


Bild: Illustration: Uljana Schewtschenko

Mein Mann hatte ein kleines Unternehmen, aber die Russen haben seine Räume besetzt und einen Posten davorgestellt. Die ganze Ausrüstung, der ganze Betrieb ist weg. Jetzt hat unsere Familie aufgehört, Fleisch zu essen. Anfangs konnte ich nach langem Schlangestehen manchmal noch gefrorenes Hühnerfilet kaufen. Das letzte Mal aber war das Fleisch mit einer Spritze durchstochen. Die Verkäufer pumpen das Filet mit Wasser auf, damit es beim Einfrieren mehr wiegt. Seitdem kaufen wir kein Fleisch mehr. Meinen letzten Hamburger habe ich fotografiert. Ich wollte zwar eigentlich einen Cheeseburger, aber den hatte schon jemand anderes gekauft.

Wir nennen die Besatzer „Russisten“, denn wenn man das englisch betont, klingt es wie „Faschisten“. Anfang Juni haben sie die ukrainischen Telefon- und Internetdienste abgeschaltet. Die ganze Stadt war unter Schock, die Leute suchten WLAN in Cafés. Dann verkauften die Russisten russische SIM-Karten im Tausch gegen Passdaten. Wir wollten das nicht, und so haben wir eine SIM-Karte auf dem Schwarzmarkt gekauft. Die benutzt jetzt die ganze Familie. Wenn wir einen Film sehen wollen, geht mein Mann irgendwohin und lädt ihn runter.

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