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#Im Namen der afghanischen Frauen

Im Namen der afghanischen Frauen

Robina Muqimyar benötigte 100 Meter, damit die Welt auf sie aufmerksam wurde. Ihr Sprint, 14,14 Sekunden dauerte er, schrieb bei den Sommerspielen in Athen Sportgeschichte. Im Jahre 2004 zeigte er vor allem etwas davor nicht Gekanntes: Eine afghanische Olympionikin. Das neue Symbol der Hoffnung für zahlreiche Frauen und Mädchen ihrer Heimat.

,,Ich will nicht verheiratet werden. Ich will nur versuchen, eine gute Athletin zu sein. Ich will die Geschichte Afghanistans ändern. Ich will, dass andere Frauen mich sehen, mir folgen“, sagte Muqimyar damals, nur drei Jahre nach dem Sturz der Taliban. Unter dem ersten Regime der Islamisten, das von 1996 bis 2001 währte, war ein solcher Fortschritt unmöglich gewesen.

Zeit der Unterdrückung

Die streng religiösen Gesetze der Taliban bedeuteten eine massive Unterdrückung der Rechte von Frauen. Sie durften nicht arbeiten und sich in der Öffentlichkeit nur vollverschleiert und in Begleitung eines männlichen Verwandten zeigen. Mädchen erging es nicht besser.

Mut und Ehrgeiz beflügeln: Muqimyar beim Training vor ihrem historischen Lauf in Athen.


Mut und Ehrgeiz beflügeln: Muqimyar beim Training vor ihrem historischen Lauf in Athen.
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Bild: Picture-Alliance

In dem Buch „Field of Courage“ von Max Davidson erinnert sich Robina Muqim­yar: ,,Es gab nichts für uns zu tun unter den Taliban. Du konntest nicht zur Schule gehen, du konntest nicht spielen, du konntest gar nichts tun. Du warst nur den ganzen Tag zu Hause. Und was Sport angeht: Davon konnte man gar nicht erst träumen.“

Das Internationale Olympische Sportkomitee (IOC) reagierte 1999, suspendierte das Land und schloss es von den Olympischen Spielen in Sydney aus. 2001 wurden die Taliban schließlich nach dem Einmarsch der internationalen Truppen entmachtet. Nur ein Jahr später war Afghanistan wieder Mitglied des IOC. Für Muqimyar bedeutete dies eine Zeit des Umbruchs.

Eine neue Chance

2003 suchten afghanische Sportscouts in Schulen nach Kandidaten für Startplätze bei den Olympischen Spielen in Athen – sogenannte Wildcards. Muqimyar nahm all ihren Mut zusammen und meldete sich freiwillig. Davidson beschreibt die ersten Schritte eines Mädchens, das mehr aus ihrem Schicksal machen wollte. Lange Hose, breites Gewand, lästiger Schal und abgenutzte Sandalen: So lief Muqim­yar vor den Augen der Talentsucher ihre ersten 100 Meter – in rund 15 Sekunden. Wille und Ehrgeiz waren es aber schließlich, die ihr den Platz bei den Spielen ermöglichten, so Davidson.

Symbol gegen die Unterdrückung: Nach der sportlichen Karriere ging Muqimyar in die Politik.


Symbol gegen die Unterdrückung: Nach der sportlichen Karriere ging Muqimyar in die Politik.
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Bild: Picture-Alliance

Ohne Sponsoren, Trainer und richtige Schuhe oder richtiges Schuhwerk begann Muqimyar mit ihrem Training. Ausgerechnet im zerfallenen Ghazi-Stadion im Herzen Kabuls fand sie einen Ort, an dem sie ihre Zeiten verbessern konnte. Dort, wo die Taliban nur wenige Jahre zuvor ihre Gegner öffentlich foltern und hinrichten ließen. Der zementierte Boden war übersät von Einschusslöchern.

Historischer Lauf

Von den blutigen Schatten der Vergangenheit ließ sich Muqimyar, die, so Davidson, wenig später stolze Besitzerin eines Satzes billiger Sportschuhe wurde, nicht entmutigen: „Ich lernte von den Taliban, wie man unterdrückt wird“, sagte sie wenige Monate vor den Spielen gegenüber dem britischen Nachrichtensender BBC. „Nun werde ich die Menschen lehren, wie man sich gegen sie wehrt.“

Am 24. August 2004 startete Muqimyar in Athen in langer Hose, T-Shirt und Kopftuch bei einem Vorlauf. Das erste Rennen sollte auch ihr letztes bei diesen Spielen bleiben. Für die afghanische Sprinterin, die Vorletzte wurde, aber einen neuen nationalen Rekord aufstellte, war es ein Sieg auf ganzer Linie: „Wenigstens war ich vor einer der Läuferinnen. Ich denke, ich habe es ganz gut hinbekommen. Diesen Moment werde ich niemals vergessen“, sagte Muqimyar, die 2008 in Peking ein weiteres Mal bei Olympia antreten durfte.

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Muqimyars Engagement für Frauenrechte ging auch jenseits der Laufstrecke weiter: zunächst als Vizepräsidentin des Afghanischen Olympischen Komitees, später als Mitglied des afghanischen Parlaments. Sie gab Fernsehinterviews, in Kabul hingen an Häuserwänden und auf Laternenpfosten Poster mit ihrem Gesicht, einem Gesicht, das für das Erstarken der Frauen Afghanistans stand.

Rückkehr der Taliban

Mit der abermaligen Machtergreifung der Taliban wächst nun die Angst vor einer Rückkehr des alten Terrors. Trotz Beteuerung der Islamisten, man sei moderater geworden, häufen sich Berichte über Misshandlungen und Massaker an all denen, die als Gegner des neuen Regimes angesehen werden.

Und auch für die Frauen in Afghanistan wird jetzt, so die Sorge von Menschenrechtsaktivisten, die Uhr wieder zurückgedreht zu den vergangenen dunklen Jahren. In vielen Regionen seien ihre Rechte bereits stark eingeschränkt, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, bei einer Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf. Tausende Afghaninnen und Afghanen haben ihre Heimat bereits fluchtartig verlassen – darunter auch mehrere Leistungssportlerinnen und deren Betreuer. Sie alle sahen keine Zukunft mehr in Afghanistan.

Robina Muqimyars historischer Lauf mag nur wenige Sekunden gedauert haben und war doch Zeugnis für den Kampf um die Frauenrechte Afghanistans. Deren Fortbestand bleibt unter dem neuen Regime genauso ungewiss, wie Muqimyars Verbleib, von der seit einigen Wochen jede Spur fehlt.

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