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#Im Rausch der Farben

„Im Rausch der Farben“

Viel britischer als ein Toby-Jug geht eigentlich nicht. Die ausgesucht hässlichen Keramikkrüge in Form karikierter Persönlichkeiten, erfunden von Töpfern in der Keramikhochburg Staffordshire, werden in Großbritannien seit dem 18. Jahrhundert gesammelt. Sie bildeten freilich immer schon die Ausnahme von der Regel im Reich des „weißen Golds“, denn was in Stoke-on-Trent sonst die bauchigen Ziegelstein-Flaschenöfen verließ, war zwei Jahrhunderte lang klassisches englisches Tafelgeschirr mit Blumenmustern oder monochromen Szenerien. Die angesichts billiger, schlicht gestalteter Importe zu Beginn des 20. Jahrhunderts lauter werdende Frage, ob man nicht auch im Edelsegment einmal etwas Neues versuchen sollte, wurde wohl tatsächlich oft so beantwortet, wie es in „The Colour Room“ einer der Porzellan-Manager beim Tellerschießen tut: „Die Leute wollen nichts Neues. Sie wollen, was sie immer hatten.“ Hier irrte er elefantös.

Konkret haben die alten weißgoldenen Männer hier die Rechnung ohne die resolute, vom Jugendstil inspirierte Kunsthandwerkerin Clarice Cliff gemacht, die mit ihren frischen Farben, eckigen Formen und geometrischen Mustern in den Zwanzigerjahren die englische Porzellanindustrie revolutionierte. Viele ihrer knallbunten Stücke, die heute das Victoria & Albert Museum schmücken, waren auch noch erschwinglicher als die biederen Upper-Class-Service. Gleich die erste Serie, die ihren Namen trug, „Bizarre“, eine veritable Farbexplosion mit leicht schief gesetzten, lebensfrohen Pinselstrichen, war ein ungeheurer Erfolg, für den es freilich eine ganze Branche umzukrempeln und Frauen als Käuferinnen zu gewinnen galt. All das gelang ihr, indem sie zunächst Colley Shorter, einen der beiden Inhaber der Töpferei A. J. Wilkinson (und Clarice’ späterer Ehemann), von ihren Ideen überzeugte. Anders als sein vorsichtigerer Bruder und Mitinhaber Guy hatte der Viktorianer Colley erkannt, dass es galt, die Moderne mit offenen Armen willkommen zu heißen.

Künstlerin aus der Arbeiterklasse

Es nimmt wunder, dass dieser Stoff zuvor noch nicht verfilmt wurde, ist im Aufstieg der talentierten Künstlerin aus der Arbeiterklasse zur führenden Designerin doch alles enthalten, was ein „Period Drama“ reizvoll macht: Nostalgie, Romantik, Kreativität und Emanzipation. Diese Lücke schließt nun Sky mit der so beschwingten wie behaglichen Verfilmung durch die australische Regisseurin Claire McCarthy nach einem Buch von Claire Peate. Allein die Besetzung ist das Einschalten wert. Colley Shorter wird von Matthew Goode gespielt, dem Henry Talbot aus „Downton Abbey“, dem es gelingt, den Unternehmer zugleich porzellanzerbrechlich und durchsetzungsstark erscheinen zu lassen. Der Star des Films ist freilich Phoebe Dynevor, vielen Zuschauern besser bekannt als Daphne Bridgerton aus dem pompösen Netflix-Debütantinnenball der Regency-Ära. Hier nun vereint Dynevor Daphnes liebenswerte Naivität mit einer hinreißenden Sturheit. Ihre künstlerischen Einfälle scheinen Clarice dabei glaubhaft wichtiger zu sein als die nur angedeutete Affäre mit Colley.

Klug beschränkt sich der Film auf die frühen Jahre von Cliffs Anstellung bei Wilkinson – sie gab dafür einen höher bezahlten Job bei der Konkurrenz auf –, über ihren Aufstieg zur „Modelliererin“ (kein Chauvi-Spruch hielt sie auf) bis hin zur Kreation von „Bizarre“, was die Rettung der darbenden Manufaktur bedeutete. McCarthy hat teils Originalporzellan ausgeliehen und auch sonst auf eine authentische, fast museale visuelle Gestaltung geachtet. Fabrikräume, Frisuren, Kostüme, alles wirkt bestens recherchiert, freilich aber auch allzu harmlos und seltsam der eigenen Zeit enthoben. Geradezu vielsagend wird ein einziges Mal auf politische Zustände Bezug genommen: Aus einer Fish-and-Chips-Verpackung, der rechtsgerichteten „Daily Mail“, glotzt uns plötzlich Hitlers Visage an – und wird schnell eingefettet und entsorgt. Als dürfe nichts den brav poetischen „Feel good flow“ stören. Selbst der beißende Qualm aus den unzähligen Töpfereischloten wurde zur impressionistischen Gemäldeoptik ästhetisiert.

Welch eine Chance hätte darin bestanden, ästhetisch so mutig zu sein wie die Heldin und einen disruptiven Film voller Farbenspiel, eckigen Charakteren und subversiver Aktualität zu wagen. Die Chance wurde vertan, im Glauben wohl, dass die Leute wollen, was sie immer wollten: Aschenputtel-Storys mit viel warmtoniger Rührseligkeit. So wurde die ohnehin mäßig aufregende Handlung noch angedickt mit Sentimentalitäten wie einer vor lauter Haushalt bloß noch seufzenden Unterschichten-Mutter (Kerry Fox, im Seufzen wenig überzeugend) und einer hübschen, aber natürlich sterbenskranken Schwester (Darci Shaw, hübsch, aber vor allem sterbenskrank). Trotz eines derart vorhersehbaren, eskapistischen Plots ist „The Colour Room“ jedoch schönstes Märchenfernsehen, dafür sorgt schon die mitreißend energetische Darstellung durch Phoebe Dynevor.

The Colour Room läuft am Montag um 20.15 Uhr auf Sky Cinema. Jederzeit auf Abruf.

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