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#Im Reich der Mutanten

Im Reich der Mutanten

Greg Barron ist vielleicht der einzige Kapitän auf dieser Welt, der weder Wasser noch Wind braucht, um seinen Dreimaster auf den Horizont zuzusteuern. Die Monaco könnte zu einer Handelsflotte aus dem 18. Jahrhundert gehören. Auf den ersten, entfernten Blick zumindest. Auf den zweiten, nahen entpuppt sie sich als Mutation. Kein Kiel stützt ihr Rückgrat, sondern das Chassis eines alten Wohnwagens. Die Monaco ist im Grunde ein Schiff mit Straßenzulassung, und wo auf dieser Welt sollte das sonst möglich sein als in den Vereinigten Staaten. Dort, wo auch mal ganze Häuser auf Tieflader verfrachtet durch dieses große, verrückte Land ziehen, biegt eben auch Greg Barron jedes Jahr mit seiner Monaco hinter San Francisco auf den Highway. Immer 600 Kilometer gen Osten, bis zur Black-Rock-Wüste Nevadas, bis zum Burning Man.

Dieses Jahr muss die Monaco allerdings bleiben, wo sie ist. Die Pandemie reißt auch in die Historie des Burning Man eine Lücke. Eine, die Alexandra Lier zumindest ein wenig füllen möchte. Die deutsche Fotografin hat die Monaco und ihre surrealen Gefährten über fünf Jahre hinweg in sorgsam geplanten Bildern festgehalten. Nun ist daraus ihr dritter Bildband entstanden, der gerade im Eigenverlag erscheint. Sie war an Bord vieler dieser „Mutant Vehicles“, wie die Fahrzeuge genannt werden, und hat deren Konstrukteure und Künstler auf dem Festivalgelände und in ihren Werkstätten besucht. Einige Mutanten durfte sie selbst durch die Wüste steuern.

Zum ersten Mal hat Alexandra Lier die fahrenden Kunstwerke 1998 gesehen. Auf Fotos, die ihr jemand vom Burning Man mitbrachte. Seitdem hat sie das Festival, das fast 80. 000 Menschen auf der Suche nach ein bisschen Utopie und viel Freiheit ins Nichts Nevadas lockt, nicht mehr losgelassen. „Ich wollte das Thema verstehen und die Leute kennenlernen“, erzählt sie. „Da geht es um mehr als nur darum, lustige Autos zu bauen.“

Coolstes Fluchtfahrzeug: Das „Rocket Car“ der Burning-Man-Ikone David Best basiert auf einem Cadillac Sedan von 1977.



Bilderstrecke



Die Fahrzeuge des Burning Man
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Im Reich der Mutanten

Das Burning Man ist eine gigantische Kunstausstellung unter freiem Himmel, die auf ihren Höhepunkt zusteuert, wenn die namensgebende Holzskulptur bis zu ihren Zehen niederbrennt. Rund herum organisiert sich eine Stadt auf Zeit, in der Geld keinen Wert hat. Jeder versorgt sich und andere mit dem, was er mitgebracht hat. Werbung ist verboten, selbst Marken auf Kleidung oder Autos sollen abgeklebt sein. Und wer ein Mutant Vehicle steuert, verschenkt Mitfahrgelegenheiten. „Man fährt auf Kunst, um Kunst zu erleben“, fasst Lier das zusammen. Tatsächlich ist das Festivalgelände zu groß, um es zu Fuß abzulaufen. Und selbst mit dem Rad, dem üblichen Fortbewegungsmittel in dieser Wüstenstadt, braucht es eine halbe Stunde, um von einer auf die andere Seite zu kommen.

Lastwagen, Autos, Golfcarts und selbst Rollstühle werden zu rollenden Kunstwerken

Die Monaco ist ein großes Exemplar dieser besonderen Motorspezies, aber auf dem Festivalgelände bei weitem nicht das einzige. Vielleicht noch nicht einmal das verrückteste. Auf Liers Bildern begegnet man feuerspeienden Nashörnern und Anglerfischen, die sich als leuchtende Disco verdient machen. Was aus einem 1996 Dodge Minivan eben so rauszuholen ist. Und der alte VW Käfer, der seine Mutation zur Schnecke abgeschlossen hat, rollt gar als Verkörperung eines ästhetischen Prinzips über die Salzebene. „Golden Mean“ heißt sie, in ihrem Schneckenhaus stecken unverkennbar die Kurven und Proportionen des Goldenen Schnitts.

Dass die Mutant Vehicles echte Vehikel sind, also fahrtüchtig, unterscheidet sie von den übrigen Kunstwerken des Festivals. Je nach Konstruktion und Teamstärke dauert es mal zwei Monate, bis ein Fahrzeug aus der Garage rollt, bei anderen mehrere Jahre. Meist dient ein straßentaugliches Fahrzeug als Basis. Für Gefährte wie die Monaco oder das Nashorn des Künstlers Kevin Clark sind es Chassis von Wohnwagen, Vans oder Lastwagen. Das „Rocket Car“ der Burning-Man-Ikone David Best erhebt einen alten Cadillac Sedan von 1977 in den Stand der Mutanten. Andere verwandeln Golfcarts oder elektrische Rollstühle und schicken sie häufig mit zusätzlichem Solarantrieb in die Wüste. Erlaubt ist, was fährt und fasziniert. Vollständige Eigenkonstruktionen sind dabei selten, doch auch die gibt es. Die V8-Maschine des „Valyrian Steel“ arbeitet inmitten Hunderter Metallrohre. Ein Fahrzeug wie aus Mad Max.

Feiner Staub macht der Technik zu schaffen

Ungeachtet ihrer surrealen Erscheinung müssen sie ganz realen Bedingungen trotzen. „Die Umgebung ist nicht gerade menschenfreundlich“, weiß Alexandra Lier. Am Tag ist es brütend heiß, in der Nacht kalt. Und ständig flirrt, weht oder stürmt Sand durch die Luft, der so fein ist, dass er eigentlich schon Staub sei, sagt Alexandra Lier. Er wirbelt sich noch in die kleinste Ritze, und weil er zudem basisch ist, macht er den Zündungen das Zünden schwer und der Fotografin Lier das Fotografieren.

Ein großer Blitz hat den Bildern ihres Buches die charakteristische Optik verpasst. „Der ist so groß, dass ich ihn nicht allein mit mir herumschleppen konnte“, sagt sie. Ein Assistent habe den Job übernommen. Das Problem daran sei aber, dass die meisten Blitze dieser Größe Luft einziehen, um sich zu kühlen. Etwas, das die Black-Rock-Wüste ziemlich schnell bestraft. Auf Standardtechnik konnte sie also nicht zurückgreifen.

Aber was in diesem Mutantenuniversum ist schon Standard? Vielleicht nur das: Selbst unter den größten Freigeistern läuft es nicht ganz ohne eine verantwortungsbewusste Verwaltung. Und so hat die Gemeinschaft der „Burner“ vor einigen Jahren eigens für ihre fahrenden Kunstwerke eine Behörde ins Leben gerufen. Die DMV, die Mutanten-Behörde, vergibt die begehrten Lizenzen und entscheidet zum Beispiel darüber, ob das feuerspeiende Nashorn auch wirklich Feuer speien darf. Und sie erhebt ihren Behördenstempel über die Frage, ob ein Fahrzeug Mutant genug ist oder noch zu sehr VW Käfer, Che­vrolet Truck oder Honda Accord. Verrückt ist schließlich gerade gut genug.

Alexandra Lier: „Mutant Vehicles: Art on Wheel at Burning Man“, Speedseekers Production, 124 Seiten, 39,90 Euro.

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