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#Im sozialen Strudel von Sars-Cov-2

Im sozialen Strudel von Sars-Cov-2

Nur wer die Labore von Nobelpreisträgern als heilige Stätte betrachtet und Wissenschaftshochburgen generell als Tempel und eben nicht als das, was sie sind: die üblichen Orte wissenschaftlicher Selbstbefragung, der musste in den vergangenen Tagen einige Male heftig schlucken beim Blick ins Twitter-Netzwerk. David Baltimore, amerikanische Ikone der Molekularbiologie, wurde darin systematisch dekonstruiert. Der 83-jährige kalifornische Medizin-Nobelpreisträger hatte sich als Virologe in die anhaltende, von Verschwörungstheorien reich gesegnete Debatte um die Herkunft von Sars-CoV-2 eingeschaltet. Dabei ging es um eine bestimmte Stelle im „Spike“-Protein des Erregers – den Stachel –, das schon im vorigen Jahr als entscheidende Aktivierungssequenz identifiziert und in „Molecular Cell“ publiziert worden war – übrigens von einer deutschen Gruppe um Markus Hoffmann und Stefan Pöhlmann vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen.

Joachim Müller-Jung

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

Ohne die Aktivierung an der Stelle durch das Enzym Furin kommt es nicht zur Vermehrung des Virus. Im Gegenteil: Die Furin-Spaltstelle im Stachel macht Sars-CoV-2 erst zu einem hochinfektiösen Erreger für uns. Deshalb blühten von Anfang an auch Ideen und Gerüchte, „wer“ diese molekulare Sequenz konstruiert haben könnte – die Natur oder eben doch chinesische Corona-Forscher in ihrem Labor in Wuhan. David Baltimores Mutmaßung war nun in einem Beitrag öffentlich geworden: „Als ich diese Furin-Spaltstelle mit ihren Arginin-Kodons in der Virensequenz sah, sagte ich zu meiner Frau, das sei der unwiderlegbare Beweis für den Ursprung des Virus.“

Baltimore glaubte also, das Virus sei von chinesischen Forschern konstruiert worden. Beweise lieferte er nicht. Der Furor in der Twitter-Blase schwoll weiter an. Und sowenig der zwischenzeitlich publizierte Bericht des offiziellen Suchtrupps der Weltgesundheitsorganisation die Gemüter beruhigen konnte, so wenig konnten Baltimores Bewunderer verhindern, dass der Nobelpreisträger von der Verschwörungsgemeinde vereinnahmt wurde. Zuletzt versuchte es der kalifornische Immunologe Kristian Andersen vom Scripps Research Institute, ein ausgewiesener Sars-CoV-2-Spezialist. Er widerlegte glaubhaft und mit aller verfügbaren Empirie die Behauptung Baltimores, die Furin-Stelle könne nur ein Laborprodukt sein.

David Baltimore vom California Institute of Technology in Pasadena.


David Baltimore vom California Institute of Technology in Pasadena.
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Bild: Caltech

Mancher junge Forscher dürfte die öffentliche Dekonstruktion Baltimores durch Andersen als geharnischte Attacke eines Jüngeren gegen einen verdienten Kollegen gesehen haben. Das Gegenteil war es in Wirklichkeit: Es zeigte Wissenschaft als Prozess und diente letzten Endes sogar dem Schutz des Laureaten vor einer pseudowissenschaftlichen Horde im Netz.

Ähnlichen Attacken sah sich in den vergangenen Tagen noch ein anderer Pionier aus der Branche ausgesetzt: der deutschstämmige Genforscher Rudolf Jaenisch vom Whitehead Institute am Massachusetts Institute of Technology, einer der meistzitierten Gen- und Stammzellforscher der Welt, hat zusammen mit Richard Young einen Beitrag in den „Proceedings“ der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften zu Sars-CoV-2 veröffentlicht. Thema: die Eingliederung von Teilen der Sars-CoV-2-Erbinformation in das menschliche Genom. Leicht vorstellbar, welchen Sprengstoff das birgt. Immer wieder äußerten Impfskeptiker Zweifel an der Zusicherung, die mRNA aus den Covid-19-Impfstoffen könne nicht in den Zellkern und also auch nicht in unser Genom gelangen.

Rudi Jaenisch vom Whitehead Institute am MIT in Massachusetts.


Rudi Jaenisch vom Whitehead Institute am MIT in Massachusetts.
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Bild: J. Müller-Jung

Schon als die Jaenisch-Gruppe vor Monaten die ersten Ergebnisse auf einem Preprint-Server vorstellte, gab es deshalb Aufschreie: „Labor-Artefakte“, hieß es, weil anfangs lediglich Belege aus Zellkulturen vorlagen. Tatsächlich finden sich in menschlichen Zellen sogenannte Line-1-Sequenzen, in denen – vermutlich aus früheren Viren-Infektionen – die Information für das Enzym Reverse Transkriptase eingebaut ist. Mittlerweile legten Jaenisch und Young entsprechendes Gewebematerial aus Kliniken vor: Mit der „alten“ Reverse Transkriptase können offenbar Teile des Virus-Genoms – aber eben nicht etwa infektiöse Virenpartikel – in DNA übersetzt und in menschliche Erbsubstanz eingebaut werden. Das würde erklären, warum manche Covid-19-Genese ohne weitere Infektion noch Monate später positiv getestet werden.

Was das medizinisch bedeutet, ist völlig unklar. Akut gefährlich sind die Sars-CoV-2-Schnipsel offenbar nicht. Doch die lauter werdende Impfskeptiker-Gemeinde macht natürlich wie zu erwarten mehr daraus – und nicht nur die Kollegen Jaenischs sind deshalb unglücklich über den in dieser Pandemiephase unwillkommenen Befund.

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