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#In Brüssel wird über Kurz’ Brief gespottet

In Brüssel wird über Kurz’ Brief gespottet

Im Nachhinein lässt sich die Beschaffung von Corona-Impfstoff in der EU als eine Art Wette lesen. Nicht alle Mitgliedstaaten hielten etwas von der Strategie der EU-Kommission, von allen halbwegs erfolgversprechenden Vakzinen möglichst viel zu bestellen und alle wirksamen Impfstoffe gemäß der Bevölkerungszahl auf die Mitgliedstaaten aufzuteilen. Etliche Länder wetteten auf den Wirkstoff des britisch-schwedischen Herstellers Astra-Zeneca (AZ). Der war nicht nur am billigsten, sondern schien bis weit in den Herbst hinein auch den schnellsten und größten Impferfolg zu versprechen. 

Werner Mussler

Es waren (auch) jene Länder, die dem Vorschlag der EU-Kommission nicht folgen wollten, alle in die EU gelieferten Vakzine grundsätzlich nach der Bevölkerungsquote in die Mitgliedstaaten weiterzureichen. Beschlossen wurde vielmehr, dass sich jedes Land aussuchen kann, ob es den ihm zustehenden Impfstoff tatsächlich abnimmt. Jene Chargen, die nach dieser ersten Auswahl übrig bleiben, werden in einer zweiten Runde weiterverteilt. 

Eine Wette, die sich nicht ausgezahlt hat

Mittlerweile ist klar, dass sich die Wette auf Astra-Zeneca nicht auszahlte. Der Hersteller hat erhebliche Lieferprobleme. Statt wie im Liefervertrag vorgesehen 300 Millionen Dosen kann AZ im ersten Halbjahr 2021 wohl nur 100 Millionen in die EU liefern. Das bringt all jene Länder in die Bredouille, die vor allem auf den AZ-Impfstoff setzten. Sie sind weitgehend identisch mit den sechs Staaten, deren Regierungschefs am Wochenende in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel die „Ungleichverteilung“ der Impfstoffe in der EU beklagen. Man habe „in den vergangenen Tagen entdeckt“, dass die Chargen nicht strikt nach Bevölkerungszahl an die Mitgliedstaaten vergeben worden seien, heißt es in dem unter Federführung des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz entstandenen Brief. 

In Brüssel rief der Brief Kopfschütteln hervor. Vor allem weil Kurz und seine Mitstreiter – die Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik, Kroatiens, Sloweniens, Bulgariens und Estlands – den Eindruck erwecken, der Verteilungsmechanismus sei geheim und erst „in den vergangenen Tagen entdeckt“ worden. Das Gegenteil ist der Fall. Im Zusammenhang mit der Kritik an der EU-Impfstoffbestellung aus Deutschland war davon mehrfach die Rede gewesen – auch davon, dass beispielsweise Bulgarien im vergangenen Jahr auf die Übernahme des jetzt erfolgreichsten Impfstoffs von Biontech-Pfizer verzichtet hat. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) deutete auch mehrfach an, dass die späte Bestellung der teuren, aber besonders erfolgreichen Vakzine von Biontech und Moderna auch darauf zurückging, dass sich etliche Länder gegen eine Order dieser Impfstoffe auf EU-Ebene ausgesprochen hatten.

Hat Kurz von alldem wirklich nichts gewusst? Jedenfalls hat er am Montag den österreichischen Kovorsitzenden des zuständigen EU-Gremiums, den Gesundheitsbeamten Clemens Martin Auer, abgezogen, weil dieser die Regierung zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht über die Möglichkeit informiert habe, zusätzlichen Impfstoff von Biontech zu kaufen.

Hat Kurz seinen Laden nicht im Griff? 

In Brüssel sorgt der Vorgang für erhebliche Verwunderung. Es gilt als schwer vorstellbar, dass ein Beamter eine solche Entscheidung ohne Kenntnis der Regierung treffen konnte. „Die Impfstoffbestellungen sind doch eine hochpolitische Angelegenheit, spätestens seitdem die EU im Kreuzfeuer der Kritik wegen ihrer Impfstrategie steht“, sagt ein Diplomat. Einer aus einem anderen Mitgliedstaat ergänzt, wenn Kurz tatsächlich nichts gewusst habe, „dann hat er seinen Laden nicht im Griff“. Wenn er – was wahrscheinlicher sei – sehr wohl informiert war, sei Auer nur ein Bauernopfer und der Brief ein Ablenkungsmanöver.

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Martin Selmayr, zu Zeiten Jean-Claude Junckers der höchste Beamte der Brüsseler Behörde und derzeit deren Vertreter in Wien, lästerte auf Twitter: „Wenn etwas schief läuft in Europa, dann ist ‚die EU‘ schuld – selbst wenn Regierungen nicht mit ihren eigenen Beamten gesprochen haben“. In Brüssel heißt es, Kurz habe es immerhin geschafft, die aus den EU-Haushaltsverhandlungen des vergangenen Sommers bekannten „Sparsamen Vier“ (neben Österreich die Niederlande, Dänemark und Schweden) zu spalten. Das hat den Hintergrund, dass Kurz unter anderen die Regierung in Den Haag beschuldigt hatte, zusätzlichen Impfstoff zu beschaffen.

Unklar ist überdies der Zweck des Briefs. Kurz wird die von ihm beklagte Ungleichverteilung auf der nächsten Videokonferenz der EU-Staats- und Regierungschefs Ende kommender Woche auf jeden Fall ansprechen. Seine Forderung läuft wohl darauf hinaus, dass die anderen, besser versorgten Länder noch Chargen aus ihren eigenen Bestellungen an die Gruppe der Sechs abtreten sollen. Angesichts der generellen Impfstoffknappheit ist das so gut wie ausgeschlossen.

Eher vorstellbar wäre eine Übereinkunft, dass für alle künftigen Bestellungen generell eine Vergabe nach Bevölkerungsquote gelten soll. Eine solche Lösung dürfte den sechs Ländern indes kaum etwas nützen. Schon die jetzige EU-Bestellung etwa bei Biontech-Pfizer wird teilweise erst 2022 ausgeliefert. Ein anderer Verteilungsschlüssel für zusätzliche Bestellungen wäre erst danach wirksam.

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