Nachrichten

#In der fremden Heimat ist es doch am schönsten

In der fremden Heimat ist es doch am schönsten

Den kompletten Jakobsweg gewandert, aber noch nie in der Lüneburger Heide gewesen. Fachvorträge halten können über Pastéis de Nata, aber noch nie eine Dampfnudel gegessen. Auf den Malediven gewesen, aber noch nie am Bodensee. So oder so ähnlich sehen die Reisebiographien vieler Deutscher aus: Sie kennen sich im Ausland fast besser aus als im eigenen Land. Man könnte argumentieren, dass es woanders eben auch einfach schöner ist als daheim, aber die ausländischen Touristen, die hierher- kommen, zeugen vom Gegenteil.

Die Geographin und Journalistin Pia Volk war eine von jenen, die Deutschland kaum kannten, obwohl sie ständig unterwegs sind. Dann kam Corona, und alle waren plötzlich auf kleinere Reisen oder Tagesausflüge zurückgeworfen. Aber wohin soll man fahren, wenn es nicht einfach nur schön sein soll, sondern überraschend? Hier setzt Pia Volks Buch an. Darin stellt sie „Deutschlands schrägste Orte“ vor, dreiundfünfzig an der Zahl, und „Ort“ ist weit gefasst: Es kann sich etwa um eine ehemalige Grenze handeln, um einen Weg, um eine Stadt, einen Baum oder ein Gebäude.

Stonehenge auf dem Truppenübungsplatz

Einiges an diesem Buch ist großartig und manches sehr schade – wobei die Autorin selbst hauptsächlich für die erste Kategorie verantwortlich ist. Die Bandbreite der Orte, die sie ausfindig gemacht hat, ist enorm. Von einzelnen dürften Leser schon gehört haben, aber einiges Neues findet hier bestimmt jeder. Und wenn es nur ist, dass die Umgebung des Bahnhofs Teutschenthal in Sachsen-Anhalt aussieht wie das australische Outback. Man ist überrascht und ist es doch nicht.

Pia Volk: „Deutschlands schrägste Orte“. Ein Fremdenführer für Einheimische.


Pia Volk: „Deutschlands schrägste Orte“. Ein Fremdenführer für Einheimische.
:


Bild: C.H. Beck Verlag

Pia Volk hat eine Art Stonehenge auf einem Truppenübungsplatz besucht, war im übelriechendsten Konzertsaal Deutschlands und erklärt, warum in Südböhmen das Gestein Moldavit gefunden wurde, das aus Süddeutschland stammt. Es gelingt ihr, einerseits für jeden noch so abseitigen Ort echte Faszination zu vermitteln und zugleich angenehm lakonisch zu schreiben: „Das Besondere an Bielefeld ist, dass es nichts Besonderes hat.“ Oder eine Anekdote aus dem unterkellerten Oppenheim: „Im November 1986 rief eine Frau die Polizei, weil sie Geräusche in ihrem Haus vernahm, die sie Einbrechern zuschrieb. Doch als die Polizei eintraf, war kein Fremder vor Ort. Stattdessen brach der Boden unter der Straße ein, und der Polizeiwagen verschwand darin. Die Geräusche kamen von einem Wasserrohrbruch, der die Keller einstürzen ließ.“

Dekorativer Effekt

Der Verlag bezeichnet das Buch als „Fremdenführer für Einheimische“, was natürlich ein paradoxer Gag sein soll, aber dennoch bestimmte Elemente nach sich hätte ziehen sollen, die hier fehlen. Viele der Orte möchte man sehen, aber es sind nur wenige Illustrationen eingefügt – also hängt man bei der Lektüre permanent am Handy und googelt sie. Fotos wären so abwegig nicht gewesen. Auch gibt es kein Ortsverzeichnis und keine Karte, mit der man herausfinden könnte, welche Ziele in der Nähe sind.

Stattdessen stehen Längen- und Breitengrade unter den Kapitelüberschriften, was eher einen dekorativen Effekt hat. Die Erwartung an den Leser ist also klar: alles durchlesen und selbst raussuchen, was in der Nähe des Wohnortes ist. Wie der Leser verfahren soll, wenn er Urlaub in Deutschland macht und dabei Vorschläge für einen schrägen Ort in der Umgebung sucht, ist hingegen nicht klar. Alles noch mal lesen vielleicht.

Eine Seenlandschaft im Ruhrgebiet?

Das würde allerdings auch bedeuten, dass der Leser noch mal den leider nicht so wenigen Fehlern, Unklarheiten und Brüchen begegnet, die im Lektorat hätten auffallen müssen. Schon auf der zweiten Seite steht, dass Frankfurt am Main „eine Stunde südlich“ von Mannheim liege. Später geht es um ein unterirdisches Krankenhaus: Einerseits wurden hier laut Autorin Geflüchtete untergebracht, andererseits geriet es angeblich in Vergessenheit – und „genau deshalb stehen hier noch die Exponate aus den alten Zeiten“. Später ist die Rede von „Haarfrisuren“ und von der Religionszugehörigkeit „evangelisch-protestantisch“. Das kann beim Verfassen alles passieren, aber es darf nicht im fertigen Buch landen.

Wer darüber hinwegsieht, erfährt dafür die beeindruckende Geschichte eines Kirchenumzuges in Sachsen und kann entgeistert auf die absurde Zahl von Pumpen im Ruhrgebiet schauen, die jährlich eine Milliarde Kubikmeter Wasser abpumpen, damit keine riesige Seenlandschaft entsteht. Auch wenn viele im ersten Urlaub nach der Pandemie einfach nur noch weit weg wollen: Ein paar Wochenendausflüge innerhalb Deutschlands dürften nach der Lektüre die meisten Leser auf dem Zettel haben.

Pia Volk: „Deutschlands schrägste Orte“. Ein Fremdenführer für Einheimische. C.H. Beck Verlag, München 2021. 249 S., geb., 20,– €.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!