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#Erst lauscht man Beethoven, dann dem Herzschlag des Patienten

„Erst lauscht man Beethoven, dann dem Herzschlag des Patienten“

Still ist nur der Tod. Zu Lebzeiten gibt der Körper permanent Geräusche von sich: Die Lunge pfeift, der Darm gluckert, das Herz pocht, und in den Blutbahnen rauscht es. Und wer genau zuhört, dem verraten die Töne, ob der Mensch krank oder gesund ist. Möglich ist das nur durch das Stethoskop, ein Diagnose-Instrument, dessen Bedeutung in der Medizin nicht übertrieben werden kann. Auf die Brust oder den Bauch gelegt, nimmt es über eine Membran die Schwingungen auf, leitet sie an die Ohrstöpsel weiter, und sein Benutzer hört Geräusche aus dem Inneren des Menschen. Über Jahrhunderte war es das wichtigste Werkzeug des Arztes. Durch seine relative Objektivität läutete es den Wandel der Medizin ein, von der Kunst zur Wissenschaft. Noch heute stiftet es Identität, prägt das Bild des Arztes oder der Ärztin wie sonst nur der weiße Kittel. Doch wird das Stethoskop vielleicht langsam obsolet, in Zeiten, in denen Geräte detaillierte Bilder der Organe liefern.

Johanna Kuroczik

Redakteurin im Ressort „Wissenschaft“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Die Reise dieser „Ikone der Medizin“ verfolgen Tom Rice und Anna Harris in ihrem Buch. Sie beschreiben darin, wie sich das Stethoskop vom Hörrohr Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zum modernen Gummischlauch mit digitalen Fertigkeiten mauserte. Wie Ärzte bis heute mit der Kunst der Auskultation kämpfen – so heißt das Abhören per Stethoskop im Jargon. Und sie berichten über die kuriosen Seiten des Stethoskops, wie etwa auch Pferdebesitzer, Soldaten oder Automechaniker von ihm profitieren. Indirekt wirft das Buch größere Fragen auf: Wollen wir eine Medizin des Menschen oder der Maschinen? Wie eng – im körperlichen wie im vertrauensvollen Sinne – muss die Beziehung zwischen Arzt und Patient sein?

Das Auskultieren ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht

Während heute Bluttests oder Röntgenbilder Auskunft über den Patienten geben, musste sich ein Arzt im frühen neunzehnten Jahrhundert wie René Laennec in Paris noch ganz und gar auf seinen Eindruck und die Worte des Kranken verlassen. Als Laennec 1816 durch die Tuilerien spazierte, fielen ihm, so geht die Legende, Kinder auf, die mit einem Holzstamm spielten: Auf der einen Seite pressten einige ihre Ohren an das Holz und hörten so anscheinend das Kratzen der Kinder auf der anderen Seite des hohlen Stamms. Die Idee zum Stethoskop war geboren. Laennec rollte das erste Hörrohr aus Papier, und tatsächlich konnte er das Schlagen des Herzens seines Patienten viel deutlicher hören. Somit erfüllte das Stethoskop getaufte Gerät („stethos“ ist der Brustkorb, und „skopein“ bedeutet auf Griechisch so viel wie sehen/untersuchen) noch eine weitere Funktion: Es schuf Distanz zwischen Arzt und Kranken. „Die Klasse von Personen, die man in Krankenhäusern findet, ist ekelhaft“, schrieb Laennec. Die Kranken waren oft arm, schmutzig oder in Schweiß gebadet. Und im Falle von jungen Damen schickte es sich ohnehin nicht, dass der Arzt sein Ohr direkt an ihre Brust drückte.

Anna Harris und Tom Rice: „Stethoscope“. The Making of a Medical Icon.


Anna Harris und Tom Rice: „Stethoscope“. The Making of a Medical Icon.
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Bild: Reaktion Books

Die ersten Stethoskope waren schlichte hölzerne Rohre, die am einen Ende eine dünne Membran aufwiesen. Zum ersten Mal war es für den Mediziner möglich, Körperveränderungen mit spezifischen Geräuschen zu verbinden. Dafür mussten sie zahlreiche Obduktionen durchführen, um zu sehen, was die Töne verursacht hatte. Lange war das Stetho­skop mit der Tuberkulose verbunden, welche durch Zerstörung des Lungengewebes etwa den Klang beim Sprechen verändert, wie Laennec herausfand.

Was taugen Mediziner, die ohne CT und Ultraschall aufgeschmissen sind?

Das Stethoskop verbreitete sich auf der ganzen Welt, doch trotz seiner Ubiquität ist eine Hürde geblieben: Das Auskultieren ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. Bis heute fürchten Medizinstudenten, dass sie im Unterricht einen Patienten auskultieren sollen – und das besagte Rauschen oder Pochen gar nicht hören. Zum Lernprozess, der zum Auskultieren gehört, versammeln die Autoren einige Anekdoten. Wie die vom berühmten Mediziner Proctor Harvey, der seinen Studenten vor sechzig Jahren Beethoven vorspielte, um ihr Gehör zu schulen.

Im digitalen Zeitalter lassen sich Herztöne und Rasselgeräusche der Lunge leicht im Internet abspielen. Dennoch wird dem Stethoskop immer weniger Aufmerksamkeit im Medizinstudium beigemessen, wie die Autoren feststellen. Das Auskultieren ist eine aussterbende Fertigkeit, zumindest in wohlhabenden Ländern. Doch im sogenannten globalen Süden, wo der Arzt kaum Technik zur Verfügung hat, ist das Stethoskop noch immer essenziell. Und auch hierzulande sollte man sich fragen, was Mediziner taugen, die ohne CT, MRT und Ultraschall aufgeschmissen sind.

Das Buch von Harris und Rice ist umfassend recherchiert und zugänglich geschrieben. Obwohl es auch den Einsatz des Stethoskops abseits der medizinischen Welt beleuchtet, Literatur und Kunstinstallationen einfließen lässt, wird es wohl trotzdem vor allem Leser überzeugen, die mit ihr zu tun haben – ob als Beruf oder in der Lieblingsfernsehserie.

Anna Harris und Tom Rice: „Stethoscope“. The Making of a Medical Icon. Reaktion Books, London 2022. 192 S., Abb., geb., 20,– €.

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