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#Johnsons Rücktritt oder das Ende der britischen Schludrigkeit

„Johnsons Rücktritt oder das Ende der britischen Schludrigkeit“

Mit dem Rückzug Boris Johnsons verabschiedet sich das Vereinigte Königreich aus der emotional aufgeladenen Post-Brexit-Phase. Wen immer die Konservative Partei in den kommenden Wochen oder Monaten zum Nachfolger wählen wird – es wird jemand sein, der (oder die) nicht mehr so persönlich mit dem „Projekt“ verbunden ist wie der Mann, den manche auch den Vater des Brexits nannten.

Für die Beziehungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union klingt das erst mal nach einer guten Nachricht. Es wird den Regierungschefs auf dem Kontinent leichter fallen, das verkrampfte Verhältnis mit einem Premierminister zu entspannen, den sie nicht persönlich verachten. Die nächste Regierung in London wird vermutlich weniger peinlich darauf bedacht sein, die Vorzüge des Brexits herauszustellen, und die Europäische Union muss nun nicht mehr in gleicher Weise heimzahlen.

Das ändert aber nichts daran, dass die Briten die Europäische Union weiterhin mit anderen Augen betrachten als die meisten Kontinentaleuropäer. Die unbestreitbaren Nachteile des Brexits – vor allem die Handelseinbußen wegen der neuen Bürokratie und die oft kleinlich geregelten Visa-Erfordernisse – haben Spuren hinterlassen, aber keine signifikante Umkehrstimmung erzeugt. Für viele Briten ist es immer noch wichtiger, dass die Nation nun wieder Herr politischer Verfahren ist, dass für unbeliebte Entscheidungen Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden können, auch dass die Einwanderung im eigenen Interesse gestaltet werden darf.

Weder verführt noch betrogen

Die gerade viel zitierte Prognose des europafreundlichen Tory-Veteranen Michael Heseltine, dass, „wenn Boris geht, der Brexit geht“, beschreibt bestenfalls einen Punkt in der Zukunft. Gerade erst zog Labour-Chef Keir Starmer, einst glühender Gegner des EU-Austritts, den Schlussstrich unter die Debatte. Er will im Fall der Machtübernahme, wie die Tories auch, das Beste aus dem Brexit machen. Es ist nicht auszuschließen, dass dies irgendwann in eine Wiederannäherung an den Europäischen Binnenmarkt mündet, aber einen Antrag auf Vollmitgliedschaft sollte Brüssel in absehbarer Zeit besser nicht erwarten.




Die relative Nachhaltigkeit der Brexit-Entscheidung deutet darauf hin, dass die Nation vor sechs Jahren nicht verführt und betrogen wurde. Eher bündelte Johnson ein von unten gewachsenes Bedürfnis nach Veränderung und verschaffte diesem politische Durchsetzungskraft. Johnsons Idee, die vielen Unzufriedenen „mitzunehmen“ und ihnen im großen Zelt der Konservativen Partei eine neue Heimat zu geben, wurde ihm von vielen als Populismus ausgelegt.

Es war aber auch der Versuch, Brücken in einer tief gespaltenen Gesellschaft zu schlagen und einen sich nicht mehr zugehörig fühlenden Teil in den demokratischen Prozess neu einzugliedern. Es ist schon wieder vergessen, dass vor nicht allzu langer Zeit die chauvinistische „United Kingdom Independence Party“ unter Nigel Farage als stärkste politische Kraft aus den Europawahlen hervorgegangen ist. Heute, nach drei Jahren Johnson, gehört Großbritannien zu den wenigen Ländern des Westens, in denen das traditionelle Parteiensystem intakt ist und nicht von extremen Rändern bedroht wird.

Johnson machte viele Fehler

Sein fulminanter Wahlsieg vom Dezember 2019 gab Johnson die Chance, den Brexit als Ausgangspunkt für weitreichende Reformen zu nutzen und das Land zu transformieren. Er hätte das frappante Nord-Süd-Gefälle einebnen, Institutionen erneuern und ein neues Wir-Gefühl stiften können. Es ist nicht nur für ihn bedauerlich, dass diese Möglichkeit verschenkt wurde. Zu großen Teilen hat sich Johnson das selbst zuzuschreiben; er machte viele Fehler und vertraute zu stark darauf, dass man ihm seine Schludrigkeit durchgehen lässt, nicht zuletzt seinen unbekümmerten Umgang mit der Wahrheit.

Ein bisschen Pech war auch im Spiel, weil erst die Pandemie und dann der Ukrainekrieg andere Prioritäten diktierten. Aber erheblichen Anteil an Johnsons Scheitern haben auch seine Gegner, die ihn nicht so sehr als politischen Rivalen bekämpften, sondern als gleichsam monströse Bedrohung, die es mit allen Mitteln loszuwerden galt. Viele sind immer noch nicht zufrieden. „Erst wenn ein Pfahl durch sein Herz gebohrt ist, können wir sicher sein, dass er weg ist“, schrieb ein Kolumnist am Freitag in der „Times“.

Man kann Johnsons erzwungenen Rückzug als Triumph ehrbarer politischer Tugenden über einen zur Selbstherrlichkeit neigenden Sonnenkönig feiern. Aber sein Abschied bedeutet auch einen Verlust an Experimentierfreude, Offenheit, Originalität – und Reibung. Mit Johnson tritt ein Mann mit gesunden Freiheitsreflexen ab, einer der unorthodoxesten und auch beherztesten Regierungschefs in der westlichen Welt. Das ist nicht nur ein Grund zum Aufatmen.

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