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#Kein System ist in Stein gemeißelt

Kein System ist in Stein gemeißelt

Der Wechsel von Kanzlerin Merkel zu ihrem Nachfolger Scholz hätte nicht harmonischer erfolgen können. Zur Übergabe im Kanzleramt gab es für Merkel Applaus und für Scholz die besten Wünsche. Angesichts so viel Einmütigkeit konstatierte der Nachfolger zu Recht, dass Deutschland „eine starke Demokratie“ sei.

Allerdings zeigt ein Blick ins Ausland, wie schnell der Wind drehen kann. Niemand hätte vor ein paar Jahren für möglich gehalten, dass ein Lügner und Hetzer wie Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wird. Niemand hätte geglaubt, dass ein wütender Mob das Kapitol der Weltmacht einnehmen kann. Erst vor ein paar Tagen warnte Präsident Biden, dass Amerikas Demokratie zerbrechen könne.

Auch in anderen Staaten geht es mit der Gewaltenteilung und fairen Wahlen bergab. Die Türkei war einst ernsthafter EU-Beitrittskandidat und auf dem Weg zur Demokratie weit fortgeschritten. Heute herrscht Präsident Erdogan autokratisch. Auch in Polen und Ungarn ist der Rechtsstaat in Gefahr. Hinzu kommt: Russland wird immer kriegerischer, China nationalistischer. Der Plan vom „Wandel durch Handel“ ist nicht aufgegangen, im Gegenteil. In einigen Phasen der Pandemie war China derart erfolgreich in der Bekämpfung des Coronavirus, dass mancher Beobachter im Westen laut darüber nachdachte, ob demokratische Verfahren in Pandemie-Zeiten zu lange dauern und das chinesische System insofern überlegen sei.

Das Ausmaß an Unzufriedenheit darf nicht unterschätzt werden

Unvergessen sind auch die „Gelbwesten“-Proteste in Frankreich. Sie sind erst drei Jahre her und entzündeten sich daran, dass Präsident Macron den Liter Diesel um 6,5 Cent verteuern wollte, um die Energiewende zu finanzieren. Es kam zu Brandstiftungen und Verletzten. In der Folge warnte IG-Metall-Chef Hofmann vor höheren Belastungen: Auch in deutschen Autos gebe es gelbe Westen.

So uneingeschränkt harmonisch und stabil wie zur Übergabe des Kanzleramts ist die Lage in Deutschland bei genauer Betrachtung tatsächlich nicht. Bei der Landtagswahl in Sachsen erhielten AfD und Linke 2019 zusammen mehr als 40 Prozent der Stimmen, bei der Bundestagswahl vor vier Monaten wurde die AfD dort stärkste Partei.

Auch die soziale Marktwirtschaft ist nicht unabänderlich. Vor etwas mehr als zwei Jahren forderte der jetzige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert die Vergemeinschaftung von Großunternehmen. Die gleiche Geisteshaltung liegt auch der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ zugrunde, der beim Volksentscheid Ende September 57,6 Prozent der Wähler zustimmten.

Was ist aus all diesen Beobachtungen zu folgern? Erstens: Das Ausmaß an Unzufriedenheit darf nicht unterschätzt werden. Egal ob es berechtigte Gründe dafür gibt oder nicht. Zweitens: Unsere Demokratie muss fortwährend gestärkt werden. Dazu zählt auch, andere Meinungen zuzulassen. Ein schlechtes Beispiel lieferte vor Kurzem SPD-Politiker Ralf Stegner. Der frühere Innenminister von Schleswig-Holstein erklärte, Atomkraftfans stünden „inhaltlich und im Ton Impfgegnern, Coronaleugnern und Rechtsradikalen kaum nach“. In einem solchen Klima ist eine Debatte nicht möglich, Cancel Culture nicht mehr weit.

Die Lage in den USA und Polen sollte uns eine Warnung sein

Drittens: Die Chancengerechtigkeit muss wieder stärker in den Blick genommen werden. Die Legitimation der Sozialen Marktwirtschaft beruht darauf, dass die Startchancen nicht zu weit auseinanderdriften, dass sich der Einsatz des Schlauen und Tüchtigen lohnt. Zumindest mit Blick auf eine eigene Immobilie, die nicht fernab der Wirtschaftszentren steht, gilt das derzeit nur noch eingeschränkt. Wer nichts geerbt oder geschenkt bekommen hat, kann das nötige Eigenkapital selten ansparen. Völlig grundlos ist es nicht, dass in einer Allensbach-Umfrage vor zwei Jahren nur 48 Prozent „vom Wirtschaftssystem in Deutschland eine gute Meinung“ hatten.

Auch bei der Bildungsgerechtigkeit hapert es gewaltig. Von hundert Grundschulkindern aus Arbeiterfamilien gehen später nur 21 auf eine Hochschule. Unter Akademikerkindern sind es 74. Nachdenklich stimmen muss auch, dass arme Kinder nur ein Drittel jenes Geldes erhalten, das reiche Eltern für ihren Nachwuchs ausgeben. So erfreulich das für Vermögende ist, so nahe liegt die Vermutung, dass die Startchancen ins Leben arg ungleich verteilt sind.

Der Blick auf solche Ungerechtigkeiten und auf die Lage in den USA, in Frankreich, Polen und der Türkei sollte uns eine Warnung sein: Auch Deutschland muss aufpassen. Weder Demokratie noch Soziale Marktwirtschaft sind in Stein gemeißelt.

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