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#Kennste einen, kennste alle

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Kennste einen, kennste alle

Dies ist ein Film über das Loslassen. Und wessen Hand möchte man nicht nur als Zuschauer über alle Geschlechtergrenzen hinweg nie wieder loslassen? Die von Bill Murray. Er ist längst mehr als ein Schauspieler: das wandelnde Leinwandversprechen, dass selbst am Ende aller Tage einer von uns übrig ist, der zumindest für sich die Bedingungen der endgültigen Kapitulation aushandeln kann – ganz egal, wer gewinnt. Auch deshalb spielt er Felix, den wohlhabenden, von aller Mühsal der Welt losgelösten Vater von Laura (Rashida Jones), die ihren Namen dem Titelsong des gleichnamigen Kriminalfilms von 1944 verdankt. Was schon anzeigt, wir haben es mit einem gutmütig-urzeitlichen Raubtier von Mann zu tun.

Axel Weidemann

Laura, Ende dreißig, Schriftstellerin, verheiratet und Mutter zweier Mädchen, hat einen Verdacht: Eine unglückliche Verkettung verhängnisvoller Ereignisse – unterbrochene Küsse, Body-Oil (per se verdächtig!) im Reisegepäck und eine Frau mit Namen Fiona – nährt den Verdacht, ihr Mann Dean (Marlon Wayans) betrüge sie. Aus reiner Langeweile kann das nicht geschehen. Die Regisseurin Sofia Coppola erzählt Lauras alltägliches Leben in einfachen aber schwungvollen Szenen zu flotter Musik: Kinder anziehen, zur Schule bringen, sich nicht von einer anderen, distanzlosen Mutter mit ihren Liebesabenteuern überfahren lassen und dann an den Schreibtisch, um an ihrem Buch zu feilen. Es ist genug zu tun. Der Film aber suggeriert: Figuren wie Laura müssen Schriftsteller oder sonst wie selbständige Kreativarbeiter sein, weil diese anscheinend genug Zeit haben, dem besagten Verdacht nachzugehen (und der Drehbuchautor sie beliebig bewegen kann, ohne groß nachdenken zu müssen).

Auftritt Bill Murray – altes New-Yorker-Geld, Kunsthandel – in einer herrlich protzigen Mercedes-Limousine, neunziger Baujahr, samt Chauffeur. „Warum habe ich von allen Leuten dich gefragt?“, klagt seine Tochter kurz zuvor am Telefon. Auch der Zuschauer rätselt. Bis der Mann mit dem Blick, der vom Vorübergehen seiner vielen Frauen ganz müde geworden ist, gut gelaunt aus dem Auto steigt und singt: „Laura is the face in the misty light“. Wer möchte da nicht Bill Murray sein – und damit auch noch davonkommen? Darauf fußt die Hinterhältigkeit dieses Films, die ganz anders funktioniert als im subtiler agierenden „Lost in Translation“ (2003), in dem Murray an der Seite von Scarlett Johansson brillierte: Man konstruiert die Rolle eines völlig aus der Zeit gefallenen, fast rührenden Chauvinisten-Popeyes, der „Kiddo“ sagt, im exklusiven Gentlemen’s Club Rib-Eye-Steak mit Spinat bestellt und dessen Weltbild von evolutionsbiologischem Pseudo-Wissen getragen wird. Und lässt ihn von Gottes gewieftestem Schlitzohr spielen.

Die emanzipierte Frau fragt den Macho

Weil Felix sich selbst kennt, glaubt er, den Mann seiner geliebten Tochter auch zu kennen: „Durchsuche seine Textnachrichten“, rät er. „Dean ist nicht wie du“, wehrt sie ab. „Er ist ein Mann. Es liegt in seiner Natur. Männer müssen kämpfen und erobern“, sagt er. Laura ist da längst eine unheilige Allianz mit ihrem Vater eingegangen, um ihrem Mann auf die Schliche zu kommen. Und ja, die Hinweise mehren sich: An ihrem Geburtstag ist Dean verreist, sie bekommt per Videoschalte einen Thermomix. Wenn das nicht der Anfang vom Ende ist. Für solche vermeintlich verräterischen Details haben Coppola und ihr Team ein gutes Auge: Ungewohnte Begrüßungen vor Publikum, anstrengende Restaurantbesuche, abgebrochene Gespräche. Dazwischen spricht Laura vor etlichen Dry Martinis und Woody-Allen-Kulisse mit ihrem Vater über die Mühen der Ebene menschlicher Beziehungsarbeit – die emanzipierte Frau fragt den Macho. Substantiell sind die Gespräche nicht, allenfalls hübsch inszeniert.

Vor allem Murrays Sätze sind oft so entsetzlich abgestanden, dass man meint, es handele sich um ein Best-of aus über neunzig Jahren Hollywood – unter dem selbst Murray zu leiden scheint. Sie, mehrfach: „Kann ein Mann monogam sein?“ Er: „Du kannst nicht mit ihnen und nicht ohne sie leben – das heißt nicht, dass du mit ihnen leben musst.“ Da fragt man sich als Zuschauer: Wie wird heute über Beziehung gesprochen? Sprechen Paare nur noch Filme nach? Womöglich Filme wie diesen? Man denkt ja, dass in Wirklichkeit klüger und versöhnlicher über Beziehungen gesprochen wird. Aber ist das wirklich so?

Schon drängt sich Murray in den Vordergrund, rast mit seiner Tochter im roten Knatter-Cabrio zur Beschattung von Dean durch New York, bezirzt aufgebrachte Polizisten und schmiert Kaviar auf Cracker. Was wird hier eigentlich gespielt? Bill Murray? Zugegeben, was er soll, macht er gut – der väterliche Typ im Leben eines jeden Strauchelnden sein, der sagt: „Alles wird gut, Kiddo.“ Ohne solche Figuren kann die bloße Existenz stellenweise wie eine finstere Rutsche ins Nichts wirken. Nur wird heute lieber bis zuletzt diskutiert, ob überhaupt alles gut ist, wenn alles gut ist.

Der Twist, auf den man wartet, nachdem der Film so viele Stereotype versammelt hat, bleibt aus. Selten werden die altbekannten Sentenzen oder Figuren gebrochen. Immer ist der Film als solcher zu erkennen, sitzen Figuren wie hineingemalt in Bildern, deren Inhalt vom Formwillen erdrückt wird. Nichts deutet über sie hinaus. Wirklich intime Momente zwischen Vater und Tochter gibt es nicht. Nur in einer einzigen Szene schimmert so etwas wie Wahrhaftigkeit auf: Ob es das wert war, fragt die Tochter ihren Vater und meint all seine Affären. „Es hat allen das Herz gebrochen“, antwortet der. Noch während des Abspanns ist man mittelmäßig vergnügt, aber ratlos: Ist jetzt in Beziehungsdingen doch alles wie vor tausend Jahren? Wird nur einfach mehr, aber dafür in den ewig gleichen Dialogschleifen darüber geredet? Versöhnlich ist allein Felix’ letztes „see you soon, Kiddo“ – hoffentlich in einem besseren Film.

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