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#Kinder wollen sie in diese Welt nicht setzen

Der Lama-Tempel im Zen­trum von Peking ist voller Studenten. Am Tempelkiosk holen sich die Studenten bündelweise Räucherstäbchen ab, zünden sie in einem metallenen Holzkohleofen an und schwenken das Rauchwerk mit gefalteten Händen in alle Himmelsrichtungen. Manche grinsen, aber die meisten blicken ziemlich ernst. Dann gehen sie vor die Halle des unendlichen Glücks, knien nieder und beten für eine bessere Zukunft.

Jochen Stahnke

Politischer Korrespondent für China, Taiwan und Nordkorea mit Sitz in Peking.

Die offizielle Arbeitslosenzahl unter jungen Chinesen ist in den Städten auf 20,4 Prozent gestiegen. Betende Studenten werden mehr in Peking. Die Behörden nehmen die aufkeimende Volksfrömmigkeit offenbar vorerst hin. Es ist ein Ventil für wachsende Sorgen. Manche fragen, ob Leistung sich noch lohnt.

Auf den Steinstufen eines rot bemalten Pavillons sitzt eine junge Frau und sinniert. Ihre Hose reicht ihr über die weißen Turnschuhe, auf dem Schoß hat sie einen Rucksack, an dem ein kleiner weißer Teddy baumelt. Sie sagt, sie bete für die Gesundheit der Eltern und für ihre Prüfungen. „Viele beten, um etwas zu erreichen“, sagt sie. „Nicht weil sie religiös sind.“ Reißenden Absatz finden Armbänder aus Plastikkugeln, in denen heilige Asche eingeschlossen ist. Grau-weiße Kugeln bringen Glück für Prüfungen, grün für die Karriere, braun ist der Reichtum, blau die Gesundheit. Manche Armbänder gehen für umgerechnet vierzig Euro weg. Zwischenhändler bieten sie neuerdings auch im Internet an, für Chinesen aus den Provinzen, die es nicht nach Peking schaffen.

Unternehmertum fällt Sicherheit und Nationalismus zum Opfer

Man könne sie Tina nennen, sagt die Frau. Tina ist die Erste in der Familie, die studiert, Fachrichtung Statistik, in zwei Jahren macht sie ihren Abschluss. Wie es dann weitergeht, wisse sie nicht. Die hohe Arbeitslosigkeit mache vielen Angst und dauere sicher länger an, sagt sie. Schließlich studierten mittlerweile viel mehr Chinesen als früher. Tina kommt aus der Provinz Hebei, wo ihre Eltern vom Staat einst einen Job zugewiesen bekommen hatten. „Heute im marktwirtschaftlichen System haben die Leute mehr Angst“, sagt Tina, „es gibt mehr Druck und viel größere Konkurrenz.“ Zwar wächst Chinas Wirtschaft nach dem Ende der drakonischen Corona-Maßnahmen wieder, aber deutlich weniger als früher. Im Sommer drängen weitere zwölf Millionen Absolventen auf den Arbeitsmarkt, so viele wie nie zuvor. Einige werden wohl ohne Job bleiben.

Tina ist neunzehn Jahre alt und sagt, sie habe nicht vor zu heiraten: „Das ist nicht notwendig.“ Ein Kind will sie auch nur dann, wenn dieses nicht mehr um alles so kämpfen müsse wie sie selbst. Daran glaubt sie nicht. „In Zukunft wird die Konkurrenz noch größer sein, und für die Kinder wird es dann noch härter.“ Dabei hat sich Chinas Geburtenrate in den vergangenen zehn Jahren annähernd halbiert. Trotzdem macht ihr das kaum Hoffnung, dass sich dadurch die Arbeitsmarktlage in Zukunft entspannt.

Im größten Gebäude des Tempelgeländes steht ein achtzehn Meter hoher Buddha aus Sandelholz, ein Geschenk des Dalai Lama aus Tibet, das dieser im achtzehnten Jahrhundert zu Kaiser Qianlong nach Peking schaffen ließ. Später bekämpften die Kommunisten Religionen, bis heute wird der tibetische Buddhismus verfolgt. Der Tempel in Peking ist nurmehr eine Touristenattraktion unter Behördenaufsicht.

Fang geht mit einer frischen Rolle Räucherstäbchen durch den Tempel. Er betet für seine neue Stelle, nächsten Montag fängt er in einer Computerspielefirma an. Zehn Bewerbungen habe er geschrieben, eigentlich nicht viele, sagt Fang. Er analysiert Daten, das sei überall gefragt. Zwölf Stunden muss er dann jeden Tag arbeiten, die Bezahlung sei zwar eher mittel, aber so sei das eben. Fang sagt, im Vergleich zu früheren Zeiten verdiene man besser, aber könne sich trotzdem nicht mehr kaufen.

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