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#Kommentar Wahlrechtsreform: Das größte Eigentor

„Kommentar Wahlrechtsreform: Das größte Eigentor“

Man weiß nicht, was die Ampelkoalition mit dem neuen Wahlrecht eigentlich erreichen wollte: die Verkleinerung oder die Zerkleinerung des Bundestags? Am Anfang hatte die Ampel als Maß aller Dinge die 598 Abgeordneten ausgerufen, die als Richtgröße im Wahlgesetz stehen. Stattdessen steht nun die Existenz der CSU auf dem Spiel. Die politische Landschaft Deutschlands würde sich grundlegend ändern. Das Wahlrecht wäre nicht etwa an das veränderte Parteiensystem angepasst worden, sondern es schafft sich ein neues. Allein schon die Gefahr, dass es so kommen könnte, zeigt, wie sehr diese Wahlrechtsreform aus dem Ruder gelaufen ist.

Der Grund für den Scherbenhaufen, den schon bald das Bundesverfassungsgericht besichtigen wird, liegt darin, dass sich die deutsche Politik nie zwischen Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht entscheiden konnte. Zwar wird im Wahlgesetz vorgegeben, dass eine mit Personenwahl verbundene Verhältniswahl gelten soll. Doch hinter der Personenwahl verbirgt sich die Mehrheitswahl in den Wahlkreisen. Von dort sollen Kandidaten per relativer Mehrheit direkt in den Bundestag gewählt werden. Die Spannungen und Widersprüche zur Verhältniswahl sind unüberwindlich.

Nichts zeigt das so gut wie die jetzt abgeschaffte Grundmandatsklausel. Konsequenterweise müsste gelten: Wer direkt gewählt ist, kommt in den Bundestag. So war es bisher für unabhängige Kandidaten, die für keine Partei kandidieren, aber auch für jeden anderen Bewerber. Die Klausel billigte den Parteien aber eine Extrawurst zu. Wenn mindestens drei Be­werber einer Partei direkt gewählt wurden, die an der Fünfprozentklausel scheitert, wurde die Partei doch noch berücksichtigt. Warum drei? Damit sollte eine signifikante Bedeutung der Partei signalisiert werden. So kamen, siehe Linkspartei, nicht nur diese drei Bewerber in den Bundestag, sondern so viele, wie der Stimmenanteil der Partei gebot.

Groteske Folgen ohne Grundmandat

Schon darin äußert sich ein gespaltenes Verhältnis zur Mehrheitswahl. Im neuen Wahlrecht herrscht da mehr Klarheit. Das Mehrheitsprinzip des Direktmandats hat sich dem Verhältnisprinzip der Zweitstimme ganz unterzuordnen. Der Bewerber zieht nur dann direkt in den Bundestag, wenn seine Mehrheit durch die Zweitstimme, die „Hauptstimme“ gedeckt ist.

Ohne Grundmandatsklausel droht die Sache dadurch aber grotesk zu werden. Selbst wenn die CSU alle Direktmandate in Bayern holte, sie im Bund aber weniger als fünf Prozent der Stimmen erreichte, würde keiner der CSU-Kandidaten in den Bundestag einziehen. Die Mehrheit in den Wahlkreisen, und sei sie noch so flächendeckend, änderte nichts daran. Denn entscheidend ist die Zweitstimme, ist das Verhältniswahlrecht, das der Partei in diesem Fall keinen Sitz zuweist. Die CSU-Bewerber könnten daran nur etwas ändern, wenn sie rechtzeitig aus der CSU austreten und als Unabhängige kandidieren.

Ob mit oder ohne Grundmandatsklausel: Beides lässt sich mit der Verhältniswahl rechtfertigen, nur dass im einen Fall, mit Klausel, das Mehrheitswahlrecht einen besonderen Vorteil verschafft. Die Ampelkoalition liegt mit der Abschaffung der Klausel durchaus in der Kontinuität der Bundesrepublik, die sich immer weiter vom Mehrheitswahlrecht wegbewegt hat. Der Grund für die Wahlrechtsreform selbst ist in dieser schleichenden Abkehr zu suchen. Ausgleichsmandate, die zur „Aufblähung“ des Bundestags führten, gab es nur, um dem Verhältnisprinzip zu genügen. Wäre stattdessen die Personenwahl, also das Mehrheitswahlrecht, gestärkt worden, wäre der Bundestag nur um die Überhangmandate gewachsen. „Große“ Parteien, die so groß nicht mehr sind, wären begünstigt worden.

Die Mehrheit zählt weniger als der Proporz

Die Verhältniswahl soll durch das neue Wahlrecht nun noch einmal einen kräftigen Schub erfahren. Zwar fallen Überhang- und Ausgleichsmandate weg, dafür aber werden die Direktkandidaten zu Opfern des Proporzes, die Wahlkreise zu Filialen der Parteiendemokratie. Das CSU-Syndrom gilt für alle: Wer nicht in den Stimmenanteil seiner Partei passt, zieht nicht in den Bundestag, und zwar vielleicht gerade dann nicht, wenn er mit großer Kraftanstrengung eine knappe Mehrheit in „seinem“ Wahlkreis erobert hat. Nebenher verstärkt diese Abhängigkeit vom Verhältniswahlrecht die Macht der Parteizentralen gegenüber den Kreisverbänden.

Die Ampel liegt damit ganz im Zug der Zeit. Im Bundestag wie in den Landesparlamenten macht sich ein Denken breit, das die Parität der Minderheiten zum demokratischen Prinzip erhebt, das in der Macht der Mehrheit dagegen eine Bedrohung sieht. Dass die Mehrheit nicht mehr viel gilt, stattdessen Minderheiten größere Durchsetzungskraft entwickeln als diese Mehrheit, trägt nicht zum Vertrauen in demokratische Regeln bei. Die Mehrheit muss sich fragen, was sie eigentlich noch zählt. In etlichen Wahlkreisen ist das künftig Alltag.

Eine Verkleinerung des Bundestags sowie ein vernünftiges Nebeneinander von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht wären erreicht worden, wenn einfach die Zahl der Wahlkreise verringert worden wäre. So aber gelang der Ampelkoalition ihr Coup sogar mithilfe der Unionsfraktion, welche die Klausel madig machen ließ, die der CSU ihre Sonderrolle sicherte. In Karlsruhe wird es also auch darum gehen, das größte Eigentor in der Geschichte der Union wieder rückgängig zu machen. Es ist zugleich das größte Eigentor der deutschen Demokratie.

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