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#Kunst der „Encryption“ in Berlin: Der Mensch mutiert im Technozän

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Leben im Schatten der Datenspuren: Die Ausstellung „Poetik der Verschlüsselung“ in den Berliner Kunst-Werken fühlt unserer digitalen Zeit auf den Zahn.

Die Bilder stammen aus aller Welt, viele zeigen einen Alltag in trostlosen, abseitigen Augenblicken. Ein paar Halbstarke provozieren irgendwo im Niemandsland mit obszönen Gesten. Ein Fahrradfahrer ist an der Bordsteinkante gestürzt; ein Mann auf Krücken steht allein auf weiter Flur und bittet um Almosen. Eine junge Frau im Bikini möchte nicht fotografiert werden, sicherlich auch nicht ein hockender Jugendlicher, der sich ertappt sieht, wie er am Straßenrand seine Notdurft verrichtet.

Ein Bus irgendwo in Asien ist mit Passagieren überladen. Nur einige wenige Aufnahmen öffnen den Blick in unberührte Natur, andere sind einfach nur öde und nichtssagend. Manche Menschen auf den Allerweltsbildern strecken der fahrenden Kamera ihren entblößten Allerwertesten entgegen. Was früher einmal „Street Photography“ und „Straight Photography“ genannt wurde, wenn es sich um avancierte Fotografie handelte, ist bei Jon Rafman Straßenfotografie pur: Google Street View. 2009 hatte der Künstler begonnen, Bilder des Internetdienstes als Screenshots zu sammeln, seine aktualisierte „Videocabin“ von 2023 lässt den ozeanischen Datenspeicher erahnen, mit der das Aussehen der Welt abgespeichert ist.

Eigentlich leben wir im Technozän

Rafmans illusionsloser Realismus bespiegelt eine Gegenwart, die seit einigen Jahren als Technozän bezeichnet wird – angelehnt an das (auch nicht eben bestens beleumundete) Anthropozän als Zeitalter, in dem der Mensch maßgeblich Einfluss auf Natur und Umwelt nimmt. Was macht die zeitgenössische Kunst mit jenem „Technoscene“ und all seinem Wissen, seinen Informationen und Funktionsweisen, die der globalen Multitude weitestgehend verborgen bleiben?

Nadim Samman, britischer Leiter des Digital-Programms bei den Kunst-Werken Berlin, möchte ihr eine „Poetik der Verschlüsselung“ entlocken und versammelt Werke von vierzig Künstlerinnen und Künstlern, die die Hermetik planetarischer Technik umkreisen und als Herausforderung vorstellig machen, von der bis auf Weiteres ungewiss bleiben muss, ob der Homo sapiens der „ultimativen Datafizierung“ überhaupt gewachsen ist.

Unheimliches Video: Émilie Brout & Maxime Marions „IDLE (acts α and β)“ von 2023


Unheimliches Video: Émilie Brout & Maxime Marions „IDLE (acts α and β)“ von 2023
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Bild: 22,48 m²

Die Schau „Poetics of Encryption“ kleidet sich in Schwarz, gebärdet sich als dunkle Krypta und legt ihre Arbeiten in drei Registern ab: „Black Sites“, „Black Boxes“, „Black Holes“. Diese Ordnung klingt auf dem Papier plausibel, doch die Zuordnung der einzelnen Beiträge verstehe, wer will. So oder so kommt man auf seine Kosten – und erkennt in den Werken eher angestammte Ismen wieder. In einem Raster von LCD-Bildschirmen gibt Gillian Brett die Weiten des Orbit in der Optik des James-Webb-Weltraumteleskops wieder, bemalt die Oberflächen und verleiht ihnen den Look eines betörenden Impressionismus.

Eva und Franco Mattes installieren über die Stockwerke hinweg eine schwefelgelbe, minimalistische Kabeltrasse, deren Daten verborgen bleiben. Julian Char­rière verschmilzt künstliche Lava mit Elektroschrott (Platinen, Kabelwerk, Festplatten) zu amorphen Klumpen, sockelt sie unter Plexiglas auf wie archäologische Fundstücke im Geist einer zeitgenössischen Arte povera. In riesigen Piktogrammen mit eigens entworfenen Zeichen – im Stil von Otto Neurath, Gerd Arntz oder Otl Aicher – zeichnen Kate Crawford und Vladan Joler die Verflechtungen zwischen Macht und Technik seit dem fünfzehnten Jahrhundert nach.

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