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#„Man kann Leute nicht einfach in ihre Wohnung einsperren“

„Man kann Leute nicht einfach in ihre Wohnung einsperren“

Herr Professor Möllers, ist das neugefasste Gesetz so schlecht, wie es von seinen Kritikern gemacht wird?

Alexander Haneke

Nein. In der aktuellen Fassung ist es tatsächlich eine große Verbesserung. Wir haben jetzt sowohl Verfahrensvorschriften als auch materielle Maßstäbe für die Eingriffe. Die gab es vorher gar nicht. Auch der Gesetzeszweck wurde konkretisiert.  

Die erste Fassung des Gesetzentwurfs hatten Sie vergangene Woche in der Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss noch ziemlich deutlich kritisiert.

Im Grunde hat die erste Fassung der Exekutive keinerlei Grenzen gezogen. Da waren gar keine klaren Voraussetzungen für die Eingriffe formuliert. Stattdessen wurden nur ein paar Maßnahmen ausbuchstabiert, die man eigentlich auch so hätte treffen können. Eigentlich war die erste Fassung nur eine kosmetische Reform.

Und das ist jetzt besser?

Ja, die Voraussetzungen sind klarer formuliert, auch wenn man einiges noch enger hätte fassen können. Ich würde vermuten, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird. Es kann aber natürlich sein, dass einzelne Verordnungen der Länder oder die Anwendungen durch die Gesundheitsämter von den Gerichten aufgehoben werden.

Welche weitergehenden Einschränkungen hätten Sie sich denn gewünscht?

Gerade mit Blick auf die Formulierung bei Ausgangssperren hätte man schon deutlicher machen können, dass die Maßnahme engen Grenzen unterliegt. Man kann Leute nicht einfach in ihre Wohnung einsperren und nur im Ausnahmefall herauslassen. Dafür bräuchte man eine richterliche Anordnung. Das Gesetz suggeriert hier eine Möglichkeit, die es verfassungsrechtlich nicht gibt.

Christoph Möllers


Christoph Möllers
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Bild: ©Maurice Weiss/OSTKREUZ

Aber solange die Landesregierungen eine Ausgangssperre so erlassen, dass es genügend Ausnahmemöglichkeiten gibt, um vor die Tür zu treten, würden sie doch gerichtlich Bestand haben, oder?

Natürlich können die Länder die Maßnahmen so formulieren, dass sie sich im verfassungsrechtlich erlaubten Rahmen bewegen – aber genau diese Leitlinien gehören eigentlich in das Gesetz.

Die Union wollte die Behörden nicht zu sehr einengen, damit nicht am Ende nur noch schematisch auf die Infektionsgefahren reagiert werden kann…

Die Vorstellung, dass man die Verwaltung zu sehr einschränkt, geht, glaube ich, im Moment an der Realität vorbei. Die Verwaltung und selbst der Verordnungsgeber auf Landesebene brauchen Orientierung, was geht und was nicht. Wenn die Orientierung fehlt, gibt es schnell Entscheidungen, die dann wieder von den Gerichten aufgehoben werden. Das Problem ist weniger die eingesperrte Verwaltung als die Verwaltung, der Maßstäbe fehlen.

Aber die sind doch ohnehin durch das Verfassungsrecht vorgegeben und werden von den Gerichten überprüft…

Aber es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die Grenzen zu ziehen, damit die Verwaltung einen Rahmen hat, in dem sie sich bewegen kann. Verfassungsrechtliche Maßstäbe sind meistens unscharf und für Exekutiven nicht gut zu handhaben..

Was hätte man also konkret besser machen sollen?

Besser wäre es aus meiner Sicht gewesen, wie im allgemeinen Polizeirecht Standardmaßnahmen zu formulieren, in denen etwa für die Maskenpflicht oder eine Betriebsschließung ein Tatbestand mit Voraussetzungen geregelt ist. Dann ist klar, wann eine Maßnahme erlassen werden kann. Solche Voraussetzungen sind im neuen Gesetz nicht genau auf einzelne Eingriffe bezogen, aber immerhin lassen sich jetzt viele Anhaltspunkte dafür finden, was die Verwaltung bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen hat. Das ist ein großer Fortschritt.

Denken Sie an einen Tatbestand mit konkreten Grenzwerten, ab welcher Inzidenz welche Maßnahme kommt?

Nein, bei den Inzidenzwerten sollte die Verwaltung tatsächlich flexibel sein, das hängt sehr von lokalen Begebenheiten ab. Es geht eher darum, zu sagen, für welche Bedrohung welcher Rechtsgüter man welche Eingriffswirkungen erzielt, dass etwa Leute ihren Beruf gar nicht mehr ausüben können. Die Tatbestände müssten so formuliert sein, dass sie die Dringlichkeit der Gesundheitsbedrohung umreißen.

Aber das bedeutet doch, dass man wieder bei weichen Begriffen ist!

Bei offenen Begriffen, die aber im Zusammenspiel in einer konkreten Situation deutliche Kriterien liefern, was geht und was nicht.

Christoph Möllers lehrt Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Berliner Humboldt-Universität zu Berlin.

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