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#Meister des Wirklichkeitssinns

Meister des Wirklichkeitssinns

Wolfgang Kohlhaase ist der bedeutendste deutsche Drehbuchautor der Nachkriegszeit. Das ist kein Kompliment, sondern eine Feststellung. Niemand sonst hat über so lange Zeit an so vielen prägenden Filmen mitgearbeitet, zuerst im Kino der DDR, dann in dem des wiedervereinigten Deutschlands. Und doch fällt es schwer, die Elemente dieses Erfolgs genau zu benennen. Die Nähe zu den Menschen und ihrem Milieu, die Kohlhaase auszeichnet, gibt es auch bei Autoren wie Ulrich Plenzdorf oder Peter Steinbach, die souveräne Beherrschung des Handwerks gilt ebenso für Wolfgang Menge oder Günter Schütter. Vielleicht kommt man dem Genie des Wolfgang Kohlhaase am ehesten auf die Spur, wenn man die Form betrachtet, die er seinen Kinoerzählungen gibt.

Andreas  Kilb

In einem Podiumsgespräch der Friedrich-Ebert-Stiftung hat Kohlhaase vor ein paar Tagen geschildert, wie er aus Hermann Kants Roman „Der Aufenthalt“, der Vorlage des gleichnamigen Spielfilms von 1982, „die Novelle herausgeholt“ habe. Dabei musste er alles weglassen, was dem Handlungskern, der Untersuchungshaft von Kants Alter Ego in Warschau, vorausgeht oder folgt. Ebenso hat es Kohlhaase vor drei Jahren bei der Verfilmung von Eugen Ruges Familienroman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ gemacht. Zugleich hat er darauf verzichtet, das Geschehen dramatisch zuzuspitzen, wie es die Hollywood-Schule des Drehbuchschreibens verlangt. Man könnte Kohlhaases Kino geradezu als antidramatische Kunst bezeichnen, als Übersetzung des Novellistischen in Bilder. Statt die Charaktere allein durch ihre Aktionen zu zeichnen, gibt er ihnen Zeit, sich zu erklären.

Das verleiht den Dialogen, die er für Konrad Wolf, Frank Beyer und viele andere geschrieben hat, besonderes Gewicht. Und es gibt den Regisseuren wiederum Gelegenheit, den Schauplätzen, auf denen sich ihre Figuren bewegen, besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Mit anderen Worten: Der Realismus, der im Kino oft nur eine hohle Floskel ist, steht am Anfang und am Ende von Kohlhaases Arbeit – jener Wirklichkeitssinn, den man nicht mit dem Nachstellen von Wirklichkeit verwechseln darf; auch die Schönhauser Allee, die in Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“ nach Kohlhaases Skript gezeigt wird, sieht im Film ja anders aus als im „echten“ heutigen Berlin.

Seine Beschreibungen sind schon filmisch

Wie dieser Instinkt für das Reale funktioniert, wenn keine Filmkamera im Spiel ist, zeigt aufs schönste der Band „Erfindung einer Sprache“, den der Wagenbach Verlag zu Wolfgang Kohlhaases neunzigstem Geburtstag am heutigen Samstag neu aufgelegt hat. Die drei kurzen und zehn längeren Erzählungen sind zuerst 1977 erschienen, zu einer Zeit, als Kohlhaase längst eine feste Adresse im Produktionssystem der Defa und durch seine langjährige Zusammenarbeit mit Konrad Wolf vor politischen Eingriffen geschützt war.

Drei der Geschichten wurden inzwischen verfilmt, zuletzt die Titelerzählung, deren Adaption „Persischstunden“ vergangenes Jahr auf der Berlinale lief, aber auch das „Begräbnis einer Gräfin“, dessen Schilderungen – „Brause steht früh um sechs auf, steigt in die Hosen, geht auf den Hof und holt sich von der Pumpe einen Eimer Wasser“ – sich wie Szenenanweisungen lesen. „Inge, April und Mai“ schließlich, die Story einer Jugendliebe in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegstagen, hat Kohlhaase selbst 1992 verfilmt, mit mittlerem Aufwand und wenig Fortune. Nicht jeder große Autor ist ein großer Regisseur.

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