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Merkels Schatten

Als neulich der britische Premierminister Johnson die Staats- und Regierungschefs der G-7-Länder zum digitalen Gespräch zusammenrief, waren drei Teilnehmer, in ihrer aktuellen Funktion, erstmals in diesem Kreis dabei: die Ministerpräsidenten Japans und Italiens, Suga und Draghi, sowie der amerikanische Präsident Biden; der freilich war acht Jahre lang als Obamas „Vize“ nur einen Herzschlag vom Oval Office entfernt, ist also mit der internationalen Politik vertraut. Vergleichsweise neu war auch der Gastgeber Johnson, der erst seit Juli 2019 im Amt ist. Daneben hat der Kanadier Trudeau mit mehr als fünf Jahren Amtszeit fast schon Veteranenstatus. In der Kategorie „Seniorität“ werden alle übertroffen von Angela Merkel: Sie ist, im 16. Jahr ihrer Kanzlerschaft, die mit Abstand Dienstälteste in dem Kreis; wobei alle wissen, dass diese Dienstzeit dem Ende zugeht.

Klaus-Dieter Frankenberger

Blickt man sich nur unter den großen westlichen Marktwirtschaften um, dann wird das Maß an personaler Stabilität und Kontinuität im Zentrum der politischen Macht in Berlin mehr als deutlich: Biden ist der vierte Präsident der Vereinigten Staaten, mit dem Merkel es zu tun hat; Macron ist der vierte französische Präsident, mit dem sie das deutsch-französische Tandem in Schwung zu halten versucht. Blair war Hausherr in 10 Downing Street, als Merkel Kanzlerin wurde; das waren, weiß Gott, andere Zeiten. Draghi ist bereits der achte Ministerpräsident Italiens, mit dem sie sich über die europäische Politik ins Benehmen setzt, Berlusconi war der erste in dieser Reihe.

Chronologie der internationalen Politik

Auf ebenso viele, nämlich acht Regierungschefs, bringt es Japan seit 2005, wobei allein Shinzo Abe zusammengenommen auf fast neun Jahre kommt. Im Kreis der G 7 war er ein alter Hase, so wie der Kanadier Harper, der es auf knapp zehn Jahre an der Spitze der kanadischen Politik gebracht hatte. Die Kanzlerschaft Merkels ist auch eine Chronologie der internationalen Politik und der Rolle, die Deutschland spielt.

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Vermutlich hätten sich im Herbst 2005 nicht viele vorstellen können, dass Merkel einmal die dienstälteste Politikerin an zentraler Stelle eines westlichen Landes sein und ihr Einfluss nicht auf Deutschland und auf Europa begrenzt bleiben würde. Ihr Amtsvorgänger hatte es sich bekanntlich nicht vorstellen können. Gelegenheiten, Erfahrungen zu sammeln, gab es seit ihrem Einzug ins Bundeskanzleramt reichlich; es waren vor allem Erfahrungen, Krisen zu beherrschen oder zu lösen. Die ersten Jahre der Kanzlerschaft standen noch ganz im Zeichen der Terroranschläge vom 11. September und der politischen und militärischen Folgen.

Es folgten Banken-, Finanz- und europäische Schuldenkrise. Mitte des vergangenen Jahrzehnts schlug die sogenannte Flüchtlingskrise voll durch. Russischer Revisionismus und Moskauer Aggression im Osten Europas sowie der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 haben die europäische Politik seit damals unter Hochspannung gesetzt. Und jetzt die Corona-Krise.

Zuwachs an Einfluss und Macht

Die vier Jahre der Präsidentschaft Donald Trumps wurden für die deutsche Politik zu einer unerfreulichen Phase, in der sich alte Gewissheiten auflösten oder sich aufzulösen schienen. Fast schon zu einem geflügelten Wort ist Merkels Satz aus dem Frühsommer 2017 geworden, dass „wir Europäer unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen müssen“. Das ist als Auftrag geblieben, nicht nur allgemein an die Europäer, sondern speziell auch an die Deutschen.

Schwierige Phase: Die Regierungszeit Donald Trumps brachte neue Klarheiten (Aufnahme vom Nato-Gipfel 2019 in Watford in Großbritannien).


Schwierige Phase: Die Regierungszeit Donald Trumps brachte neue Klarheiten (Aufnahme vom Nato-Gipfel 2019 in Watford in Großbritannien).
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Bild: Reuters

Denn die erlebten, vor allem im Zusammenhang mit der europäischen Schuldenkrise, nicht nur einen Zuwachs an Einfluss und Macht in Europa. Sie bekamen auch die Kehrseite dieser Medaille zu spüren, nämlich die Erwartung, mehr Verantwortung für das größere Ganze zu nehmen, ob in der EU und für sie oder im Rahmen der Nato. Als Reaktion auf diese Erwartungen äußerten zu Beginn des Jahres 2014 der damalige Bundespräsident Gauck und die Minister von der Leyen und Steinmeier für Deutschland die Bereitschaft, sich künftig früher, entschiedener und substantieller einzubringen. Auch das ist als Auftrag geblieben. Die Vorstellung von Deutschland als „großer Schweiz“ ist passé; das traditionelle Konzept von der sicherheitspolitischen und militärischen „Kultur der Zurückhaltung“ machte Platz unter dem Druck neuer Realitäten.

Politische Kontinuität zeichnet Deutschland aus

Dieser Anpassungsdruck wird nicht nachlassen. Wie man damit fertig wird, hängt auch von der politischen Stabilität ab sowie von Kompetenz und Ansehen der politischen Führung. Es fällt jedenfalls auf, dass die politische Kontinuität Deutschland im Kreise seiner Partner heraushebt, trotz der großen Veränderungen um uns herum.

Wer Angela Merkel im Kanzleramt nachfolgen wird, der muss Deutschland durch eine stürmische, Sicherheiten weithin erschütternde Zeit führen, eine Zeit, die der ehemalige General Klaus Naumann „Weltwandel“ nennt. Deren Kennzeichen sind der Aufstieg Chinas zur Weltmacht und die Rivalität mit Amerika; es sind der Klimawandel, die Digitalisierung und die Migration. Es ist eine Zeit, in der Deutschland sich mehr denn je anstrengen muss, nicht zuletzt, was sein internationales Engagement anbelangt, um sich zu behaupten und Sicherheit und Wohlfahrt seiner Bürger zu wahren.

Oder wie Merkel ein paar Stunden nach dem G-7-Treffen sagte: Deutschland wird über seinen Schatten springen müssen. Zu ihren Zuhörern gehörten da Biden und Macron. Beide Präsidenten werden gespannt sein, wie weit die Deutschen über ihren Schatten springen werden – und wie weit der Schatten der Angela Merkel reichen wird. Macron wartet schon bald vier Jahre auf einen beherzten Sprung. Wenn die G-7-Staaten sich 2022 treffen, kommt der Neuling mutmaßlich aus Deutschland.

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