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#Michel Bergmanns Roman „Mameleben“

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„Während sie hinausschaut in die karge Landschaft des französischen Jura, wird ihr klar, dass sie seit über zehn Jahren nicht mehr die Herrin über ihr Schicksal ist. Dass sie fremdbestimmt wird, dass jeder ihrer Schritte auf­gezwungen ist! Die Schule musste sie verlassen, Abitur konnte sie nicht machen, nach Paris musste sie fliehen, sich dort verstecken, schwarzarbeiten, den Vergnügungen eines jungen Lebens wie Varieté, Kino oder Tanz nur unter größter Gefährdung nachgehen. Sie ist siebenundzwanzig. Keine ­Stunde in den vergangenen zehn Jahren ohne Angst, ohne Herzklopfen. Und auch heute, im Schutz einer ­falschen Iden­tität, ist sie wie auf­geschrecktes Wild, jederzeit bereit zur Flucht.“

Charlotte, die Mutter des Autors Michel Bergmann, sitzt an der illegalen Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz, wo sie endlich Zuflucht findet. Ihr Sohn zeichnet ihr Leben als Roman nach, das „mameleben“, was auf Jiddisch eine ehrenvolle Anrede für die Mutter ist, aber auch bedeutet: „Mutter, du sollst leben“. Der Sohn wird 1945 als Kind internierter jüdischer Eltern in einem Lager bei Riehen bei Basel geboren, seine Kindheit verbringt er in Paris, die Jugendjahre in Frankfurt am Main. „Ich bin am Rand eines Massengrabs aufgewachsen“, sagt er einmal, „alle Toten saßen mit am Tisch.“

Die Traumata der ­Elterngeneration übertragen sich auf ihre Kinder, prägen ihr Leben, be­stimmen ihr Denken. Auch die Überlebenden leiden schwer an diesem Schicksal, sie haben ein „schlechtes Gewissen“, dem Tode entronnen zu sein.

Auf der Lebensspur der Mutter

Und nun macht sich Michel Bergmann auf die Lebensspuren seiner Mutter, die 2001 gestorben ist, durch Freitod im Alter von 85 Jahren. Bergmann ist ein umtriebiger Schriftsteller, Drehbuchautor, Filmregisseur in allen Genres, von Otto Waalkes bis zur Fernsehserie „Der Rabbi und sein Kommissar“. Schon in früheren Romanen beschäftigte er sich mit jüdischem Leben in Frankfurt, aber nun schlägt er nochmals einen besonderen Ton an, wenn es um das Vermächtnis der Mutter geht.

Michel Bergmann: „Mameleben oder das gestohlene Glück“. Diogenes Verlag, Zürich 2023. 244 S., geb. 25,– €.


Michel Bergmann: „Mameleben oder das gestohlene Glück“. Diogenes Verlag, Zürich 2023. 244 S., geb. 25,– €.
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Bild: Verlag

Der Sohn versucht eine Bilanz ihrer Existenz zu ziehen, und das ist nicht einfach. Ihr Leben lang macht die Mutter dem Sohn Vorwürfe, dass sie für ihn alles geopfert habe. Schon im Prolog des Romans stellt Bergmann die immerwährenden Vorwürfe zusammen: „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich lieber nicht überlebt.“ „So, in die Disco willst du? Wir hatten auch Disco im Lager.“ „Für wen habe ich das alles durchgestanden?“ „Da überlebt man, und das ist der Dank!“ „Ich wünschte dir, dass du niemals das durchmachen musst, was ich durch­gemacht habe.“ „So, schmeckt dir nicht? Soll ich dir sagen, was wir im Lager hatten?“

Der Sohn wächst in einem engen Gehäuse von Anklagen, Erniedrigungen, schlechter Laune, Beschimpfungen und Lebensekel auf. Und dennoch liebt der Sohn diese verbiesterte, ­verhärtete Mutter, die sich nie ihren Stolz nehmen ließ. Einmal hörte Charlotte in der Straßenbahn einen Mann ab­fällige Bemerkungen über ­Juden machen: „Sie zieht an der ­Klingelschnur, die Bahn hält kreischend, und sie sagt zu dem Mann: ‚So, hier steigst du aus, du Stück Dreck!‘ Der Mann wird feuerrot und trollt sich. Dann klingelt sie wieder, und die Bahn fährt los. Ja, meine ­Mutter lässt sich nichts gefallen. ‚Sie haben mich lange genug getreten, jetzt trete ich!‘“

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