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#Mitleid mit unserem zukünftigen Ich

Mitleid mit unserem zukünftigen Ich

Vor den Sommerferien stehen viele Bürger vor einem moralischen Dilemma. Sie müssen nicht nur die Frage entscheiden, ob Halbpension in Griechenland ausreicht, weil das Frühstücksbuffet immer so reichhaltig ist, sondern auch, ob beim Sommerurlaub ein gesamtgesellschaftlicher Schaden mitbedacht werden muss; ob im Herbst Menschen sterben, weil Familie Weber zwei Wochen im azurblauen Mittelmeer gebadet hat.

Das Dilemma entsteht, weil wir die Pandemie leid sind und uns nach Freiheit sehnen, andererseits nicht schuld sein wollen, dass Leute krank werden. Das kann mürrisch machen, solange der Zwiespalt in uns selbst tobt, und wütend, sobald jemand von außen zur Vorsicht mahnt. In dieser Lage stellen viele Politiker ihre Enthaltsamkeitsethik eine Weile zurück. Verbringen die Deutschen ihren Sommer dann so, als gebe es keine Pandemie, ist das Dilemma aber nicht verschwunden. Die Mahnung zur Vorsicht bleibt trotzdem richtig. Wir können uns die Welt nicht machen, wie sie uns gefällt.

Momentan sieht es gut aus, das kann sich im Herbst ändern

Wie jedes Jahr kommt nach dem Sommer der Herbst. Im vergangenen Jahr war der Sommer auch unbeschwert, weil die Pandemie dank Maskenpflicht und Wetter unter Kontrolle schien. Dann kam ein Herbst, gegen den die erste Welle im Kurvendiagramm wirkte wie ein kleiner Hügel vor einem Alpenpanorama. Auch momentan sieht es gut aus, die Inzidenz dümpelt dahin, im Bekanntenkreis erzählen immer mehr Menschen von ihren Impfungen, es gibt Schnelltests, es gibt genügend Masken und mehr epidemiologisches Grundlagenwissen in der Bevölkerung als je zuvor. Das heißt aber nicht, dass der Herbst leicht wird. Im kalten Herbstwind wird aus kleinen Infektionsherden hier und dort schnell wieder ein Flächenbrand.

Deutschland hat gerade einmal die Hälfte seiner Bürger geimpft, und die meisten davon nur einmal, was die Möglichkeit lässt, dass sie leicht erkranken und das Virus an Ungeimpfte weitergeben. Auch in Ländern, in denen viel mehr Menschen doppelt geimpft sind als in Deutschland, flammt die Inzidenz immer wieder auf. Die Kinder sind gar nicht geimpft, wenn sie auf Mallorca am Strand spielen, wo die Inzidenz gerade steigt. Nach ihrer Rückkehr könnten sie ganze Schulklassen anstecken – und damit das Virus wieder in der Gesellschaft verbreiten.

Was wir im Sommer tun, kann uns den Herbst kosten. Wir wissen heute noch nicht, über welchen Buchstaben des griechischen Alphabets wir dann sprechen. Vielleicht schützt Pfizer nicht so gut vor Omikron und Psi.

Heiko Maas irrt sich

Außenminister Heiko Maas meint, man könne alle Corona-Auflagen aufheben, wenn alle Deutschen die Möglichkeit zur Impfung hatten. Da irrt er sich. Wenn im Herbst in den Notaufnahmen ungeimpfte Menschen sterben, weil sie nicht so schlau und aufgeklärt sind wie Spitzenpolitiker, wird Maas nicht sagen können, der Impfmuffel im Sarg sei selbst schuld gewesen. Auch die esoterische Bekannte mit der Impfphobie hat den Erstickungstod nicht verdient.

Was also tun? Wir müssen es schaffen, die betulichen Mahnungen zur Vorsicht auszuhalten, die uns mittlerweile so lieb sind wie die Frage im Supermarkt nach der Rabattkarte. Der größte deutsche Lustversager Immanuel Kant hätte mit Blick auf die Pandemie wohl gesagt: Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums gelten könnte. Das ist eine Mahnung, an das Allgemeinwohl zu denken, aber auch ein Schutz gegen Übertreibungen. Unser inneres Ministerium kann nur verlangen, was für alle gelten könnte. Ganz auf den Urlaub zu verzichten oder ihn auf die Geimpften zu beschränken, wenn der Impfstoff immer noch nicht für alle reicht, gehört nicht dazu.

Wer will schon Jens Spahn im Ohr haben?

Das Hauptproblem wird sein, dass wir nach all den Lockdowns einen gewissen Kitzel verspüren, endlich das zu tun, was so lange verboten war: in der Menge baden, Menschen umarmen, die Maske fortwerfen und vor allem nicht Bedenkenträger sein, wenn andere genau das tun. Urlaub ist ja gerade die Zeit, in der keine Zwänge gelten. Wer will da schon Jens Spahn im Ohr haben? In solchen Momenten hilft wahrscheinlich, etwas Mitleid mit seinem zukünftigen Ich zu haben, das im Herbst mit Einschränkungen leben muss, weil die Totenzahl wieder steigt.

Wer es schafft, etwas Vorsicht walten zu lassen, ohne über so viel Affektkontrolle wütend zu werden, kann einen Urlaub ohne schlechtes Gewissen genießen. Ganz Spitzfindige könnten sagen, dass derjenige, der das Richtige tut, sogar eine viel nachhaltigere Genugtuung empfinden wird. Und wer dann nach dem Urlaub noch die Kraft aufbringt, sich regelmäßig zu testen, kann auf sich selbst als einen guten Menschen blicken. Das hat auch einen Erholungswert.

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