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#Mitten in der Pandemie auf den roten Teppich

Mitten in der Pandemie auf den roten Teppich

So müssen sich die letzten Heiden am christlichen Ende der Antike gefühlt ha­ben: Der Tempel ist geöffnet, die Opferaltäre rauchen, aber das Ritual fühlt sich nicht mehr an wie früher. Bei der Berlinale dieses Jahres sitzt man im Ki­no, der Vorhang geht auf, die Festivalfanfare erklingt, aber die Reihen sind leer. Nur auf jedem dritten oder vierten Platz duckt sich eine Gestalt mit Atemmaske vor den Aerosolen im Saal.

Draußen sind Zelte aufgebaut, in denen man gegen Vorlage eines negativen Corona-Testergebnisses ein orangefarbenes Bändchen bekommt, das zum Eintritt in die Vorführungen des Ta­ges berechtigt. In weißen Bussen und Bauwagen werden Bürgertests angeboten, morgens während der Rush-Hour bilden sich Schlangen vor den Eingängen, sonst wirken die Ge­fähr­te wie Würstchenbuden, die vergessen haben, sich mit Würstchen einzudecken. Ringsum am Potsdamer Platz, dem Zentrum des Ge­sche­hens, herrscht eine Ge­schäf­tig­keit, die sich ihrer selbst nicht ganz sicher ist, als könnte jederzeit ein Polizeiauto um die Ecke biegen, das den ganzen Rummel mit einem Schlag für beendet erklärte.

Galavorführung plus Schaulaufen

Auch diese Berlinale beginnt, wie in je­dem Jahr außer dem letzten, mit einer Ga­la­vorführung plus Schaulaufen auf dem roten Teppich. Einige mittlere deutsche Filmgrößen wie Maria Furtwängler und Heike Makatsch haben sich angekündigt, und später wollen auch Sandrine Bonnaire und Isabelle Huppert auf dem Festival vorbeischauen – wobei Huppert die Einladung schwerlich ausschlagen konnte, denn sie wird mit einem Ehren-Bären ausgezeichnet, dem Preis für Lebensleistungen und langjähriges Erscheinen. Aber richtig festlich fühlt sich das Filmfest nicht an, was auch daran liegt, dass seine Preise diesmal schon nach sieben statt nach zehn Tagen verliehen werden. Der Berlinale sitzt die Pandemie im Nacken, sie hat es eilig, ihre Ernte einzubringen, bevor die Omikron-Welle zuschlägt, die freilich längst da ist, so dass die Verkürzung wie eine hilflose Schutz- und Fluchtgeste erscheint.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth spricht bei der Eröffnungszeremonie.





Bilderstrecke



Premierenabend der Berlinale
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Premierenabend der 72. Berlinale

Die Mischung aus Furcht und trotziger Entschlossenheit, die aus dem organisatorischen Rahmen spricht, macht das Kinoerlebnis selbst zu einem ebenso hektischen wie nostalgischen Vergnügen. Man nimmt, was man kriegen kann, doch man ahnt zu­gleich, dass es nie mehr so werden wird wie zuvor. Der Film, mit dem das Festival eröffnet wurde, passt zu dieser emotionalen Ge­men­ge­la­ge wie der Wadenwickel zur Fiebergrippe. François Ozon hat Rainer Werner Fassbinders Theaterstück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ von 1971 neu verfilmt, aber so, dass es gleichzeitig eine Geschichte von und eine über Fassbinder geworden ist, ein filmhistorisch reflektiertes Remake und eine hemmungslose Hommage. Beide Perspektiven treffen in der Hauptfigur zusammen, deren Geschlecht Ozon seinen Zwecken entsprechend verändert hat: Peter von Kant.

Die Frauen versorgen seine Herzenswunde

„Peter von Kant“ beginnt mit einem Blick von draußen in ein luxuriöses Loft. Der Film wurde in Paris gedreht und spielt in Köln, obwohl Fassbinders Heldin in Bremen und er selbst in München zu Hause war – aber vielleicht ist es gerade diese Verlegung auf neutrales Kino-Territorium, die Ozon den Zugang zu seinem Stoff eröffnet hat. Die Autos, Telefone und Schallplatten stammen aus den Siebzigerjahren, und auch die Ge­schich­te ist auf klassische Weise analog, ein Melodrama ohne Dating-Apps und psychotherapeutische Auswege.

Peter (De­nis Ménochet), ein erfolgreicher Filmregisseur, ist gerade von seinem Liebhaber verlassen worden und sucht einen neuen. Als er den jungen Amir (Khalil Gharbia) kennenlernt, weicht sein innerer Winter einem zweiten Frühling. Dass auch diese Blüte welken wird, kündigt die Einblendung „Neun Monate später“ an. Als Amir aufbricht, um sich mit seiner aus Au­stralien eingeflogenen Ehefrau zu versöhnen, schlägt der enttäuschte Autorenfilmer, be­du­selt von Gin und Kokain, seine Wohnung in Stücke. Zum Glück sind drei Frauen zur Hand, um seine Herzenswunde zu versorgen: seine Freundin Sidonie (Isabelle Adjani), seine Tochter Gabrielle und seine Mutter Rosemarie.

Die Mutterrolle, die in Fassbinders eigener Verflmung von seiner Mutter Liselotte Eder verkörpert wurde, spielt Hanna Schygulla, die vor fünfzig Jahren bei Fassbinder die Geliebte der Modeschöpferin Petra von Kant war. Wenn man will, kann man in dieser Besetzung und der Umkehrung der Geschlechterrollen die zweifache Entschlüsselung ei­nes Schlüsselfilms sehen. Doch auf der Leinwand passiert bei Hanna Schygullas Auftritt etwas anderes. Die mühsam aufgebaute Versuchsanordnung, in der Ozon seine Vorstellung von Rainer Werner Fassbinder auf dessen kaum maskierte Selbstbeschreibung in Frauengestalt projiziert hat, bricht zusammen. Denn mit Hanna Schygulla betritt eine Schauspielerin den Raum, die das mitbringt, was dem Film insgesamt fehlt: Aura. Auf einmal ist Fassbinders Welt, in der die Fiktion ihre Wahrheit aus dem Le­ben schöpfte (und umgekehrt), nicht mehr fern. Nur dass sie in diesem zugleich überklugen und unterbelichteten Film keinen Platz hat.

Dass das Private politisch sei, stand für Fassbinder außer Zweifel. Auch die Re­gis­seure des Berlinale-Wettbewerbs werden Gelegenheit haben, es zu beweisen. Von Politik im engeren Sinn handeln nämlich nur zwei Beiträge, Andreas Dresens Ge­richts­dra­ma „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ und der spanische Film „Un año, una noche“ über den Terroranschlag auf das Pariser Bata­clan. Dafür gibt es viele Geschichten von Paaren, Freundinnen, El­tern und Kindern, Müttern und Töchtern. Was draußen in der Welt passiert, spiegelt sich im Innenraum des Kinos. Aber manchmal bietet dieser Raum auch eine Zuflucht vor der Wirklichkeit. Daran muss man ge­ra­de jetzt öfter denken, da er von so vielen Seiten bedroht ist.

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