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#Nach Machatschkala: Putins Nachsicht mit Antisemiten

Die ersten Urteile gegen Teilnehmer der Unruhen von Machatschkala fallen milde aus. Immerhin hat Putin selbst sie in Schutz genommen. Das könnte für Russland noch zum Problem werden.

Bisher werden Russen, die an den antisemitischen Ausschreitungen am Flughafen der Regionalhauptstadt Machatschkala beteiligt waren, milde bestraft. Die ersten Verurteilungen in der Nordkaukasus-Teil­republik Dagestan erfolgten wegen Ord­nungs­widrigkeiten um „geringfügigen Hoo­liganismus“. Arreststrafen zwischen drei und zehn Tagen wurden verhängt. Andere erhielten wegen Teilnahme an einer unerlaubten Protestaktion acht Tage Arrest oder müssen gemeinnützige Arbeit leisten.

Friedrich Schmidt

Politischer Korrespondent für Russland und die GUS.

Nach offiziellen Angaben sind nach den Unruhen 83 Personen festgenommen und insgesamt 150 Teilnehmer daran identifiziert worden. Etwa zehnmal so viele Personen waren laut Medienberichten an den Ausschreitungen beteiligt, bei denen am Sonntagabend mehr als 20 Menschen und auch Polizisten verletzt wurden.

Die Meute hatte „Tod den Juden“ skandiert, Palästinaflaggen geschwenkt, ungehindert das Rollfeld gestürmt und sogar in Turbinen geparkter Flugzeuge nach Juden gesucht. Die Passagiere aus Tel Aviv, deren Ankunft in Machatschkala An­lass der Ausschreitungen war, hatten erst nach Stunden in Angst den Flughafen verlassen können.

Antisemitische Ausfälle ranghoher Russen haben zugenommen

Zwar findet sich im russischen Straf­gesetzbuch ein eigener Tatbestand um „Massenunruhen“, der oft gegen Oppo­sitionelle angewandt worden ist, die an Demonstrationen teilnahmen. Auch hat das Ermittlungskomitee ein Verfahren um die „Massenunruhen“ am Flughafen von Machatschkala eröffnet. Doch könnte den antisemitischen Randalierern zugutekommen, dass sie keine Regimegegner sind: Ihr Zorn und Hass richten sich nicht auf Präsident Wladimir Putin, sondern allgemein auf Juden und auf Israel im Besonderen.

Zum einen haben antisemitische Äußerungen ranghoher Russen im Ukrainekrieg zugenommen; unter anderem hat Außenminister Sergej Lawrow im Bemühen, das Moskauer Narrativ von einer in der Ukraine nötigen „Entnazifizierung“ angesichts der jüdischen Herkunft von Präsident Wolodymyr Selenskyj aufrechtzuerhalten, geäußert, „auch Adolf Hitler hatte jüdisches Blut“, und „das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Anti­semiten in der Regel Juden sind“.

Zum anderen haben auch Regimevertreter wie Ramsan Kadyrow, der Herrscher von Dagestans Nachbarrepublik Tschetschenien, und Margarita Simonjan, die Leiterin des Staatssenders RT, im neuen Nahostkrieg einen israelischen „Faschismus“ ausgemacht. Putin selbst hat zwar die Angriffe auf Israel vom 7. Oktober als „terroristisch“ bezeichnet und den Betroffenen kondoliert, aber immer wieder eine „kollektive Bestrafung“ der Palästinenser durch Israel kritisiert und die Blockade des Gazastreifens mit der von Leningrad durch die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs verglichen.

Muslimische Vertreter in Russland fordern „Nachsicht“

Zudem hat der Präsident die Randalierer praktisch entschuldigt, als er am Montag der Ukraine und deren westlichen Unterstützern vorwarf, die Unruhen über soziale Medien „inszeniert“ zu haben. Putin äußerte angesichts der Bilder aus dem Gazastreifen Verständnis für die Wut der Angreifer von Machatschkala und suchte sie für den Ukrainekrieg anzuwerben, mit der Begründung, wer Russland stärke, schwäche den Westen, der eine „gerechtere“ Welt samt Palästinenserstaat verhindern wolle.

Entsprechend forderten muslimische Vertreter in Russland wie der Mufti der Teilrepublik Tatarstan, Kamil Samigullin, „Nachsicht“ gegenüber den Teilnehmern der Unruhen. Er wies nicht nur „west­lichen Geheimdiensten“, die sich „der Gefühle von Gläubigen“ bedienten, die Schuld an dem Pogrom zu, sondern auch Israel. Dessen Armee, so Samigullin, „tut unter Führung der Zionisten, die mit Säuglingen und Kindern kämpfen, alles dafür, um in der Welt eine Welle des Antisemitismus zu heben“. Auch prominente Kampfsportler – die in Dagestan besondere Autorität genießen – riefen dazu auf, „die Schicksale junger Leute nicht zu brechen“ und die Randalierer zu amnes­tieren.

Vereinzelt wird die bisher gezeigte Milde gegenüber dem Mob in Moskau kritisiert. Kirill Kabanow, ein Mitglied von Putins Menschenrechtsrat, schrieb auf Telegram, der Staat riskiere einen „Vertrau­ens­verlust“ und neue Proteste, er müsse „Stärke“ zeigen, um „Wirren“ zu verhindern. Ihm pflichtete das Oberhausmitglied Andrej Klischas bei, das oft als Autor neuer Repressionsgesetze fungiert: Es brauche eine „harte Reaktion“ mit Strafverfahren und Haftstrafen.

Doch macht die exilierte Politologin Tatjana Stanowaja im Fall Machatschkala dasselbe Problem aus wie schon beim Aufstand der Wagner-Miliz Ende Juni: Russlands Funktionäre wüssten genau, wie sie gegen Regimefeinde wie Putin-Kritiker und Kriegsgegner vorzugehen hätten, seien aber ratlos und wie gelähmt, wenn das „echte Volk“ seine Unterstützung zu äußern versuche, nur eben auf wüste, unkonventionelle Weise. Alle warteten in solchen Fällen auf Putins Entscheidung. Doch der Präsident halte sich zurück, da er sich im „geopolitischen Kosmos“ und über solchen Fragen sehe. In einer Analyse für die Carnegie-Denkfabrik vermutet Stanowaja, das Pogrom von Machatschkala werde wie Jewgenij Prigoschins Aufstand bald vergessen sein, ohne dass der Machtap­parat Schlüsse daraus ziehe. Auf neue Massenunruhen würden die Behörden daher abermals „verspätet, unentschlossen und nachsichtig“ reagieren. „Eines Tages wird sich das unausweichlich gegen das Regime selbst richten.“

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