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Nach Raketenschuss an Silvester Prozessbeginn gegen Influencer

Vor der Verhandlung hält sich der Angeklagte einen Ordner vors Gesicht. Dabei ist sein Gesicht bekannt, schließlich hat er ein Video ­seiner Tat eigens in den sozialen Medien ver­öffentlicht. Der Clip, auf dem zu sehen ist, wie ein junger Mann in weißer Daunenjacke eine Rakete auf ein Wohnhaus schießt, die dann im Inneren einer Wohnung explodiert, ging schnell viral. Entsprechend groß ist das Medieninteresse zum Auftakt des Prozesses gegen Atallah Y., der drei Monate nach der Tat am Kriminalgericht Moabit in Berlin beginnt.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Dreiundzwanzigjährigen aus dem Westjordanland versuchte schwere Brandstiftung, versuchte gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung vor. Der junge Mann, der als Tourist in Berlin war, soll in der vergangenen Silvesternacht gegen 18.30 Uhr eine Rakete aus seiner Hand bewusst auf ein Wohnhaus in Berlin-Neukölln geschossen haben. Die Rakete gelangte durch ein Fenster in eine Wohnung im dritten Stock und explodierte dort. Verletzt wurde dabei niemand. Bei der Aktion ließ sich der Influencer, der mehr als 300.000 Follower auf Instagram hat, filmen. Das Video teilte er anschließend in den sozialen Medien.

Aus „Eigennutz“ und „völliger Rücksichtslosigkeit“ gehandelt

Laut Anklage war Y. bewusst, dass sich Menschen in dem Gebäude aufhielten. Er habe in Kauf genommen, dass ein Feuer entstehen könnte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dass es ihm darum gegangen sei, ein möglichst großes mediales Inter­esse auf sich zu ziehen. Er habe aus „Eigennutz“ und „völliger Rücksichts­losigkeit“ gehandelt. Der Angeklagte lässt sich am ersten Verhandlungstag nicht ein. Er wolle zu diesem Zeitpunkt keine Stellungnahme abgeben, sagt sein Verteidiger Axel Czap.

Der 54 Jahre alte Mieter der betroffenen Wohnung, Emin A., sagt am Mittwoch als erster Zeuge vor Gericht aus. Mithilfe einer Dolmetscherin erklärt er, dass er den Abend mit seiner Familie im Wohnzimmer verbracht habe, als er plötzlich einen lauten Knall gehört habe. Zunächst sei er davon ausgegangen, dass die Geräusche vom Balkon kommen, doch wegen des einsetzenden Alarms des Feuermelders habe er schnell gemerkt, dass der Ursprung im Nebenzimmer war, dem Schlafzimmer. „Im Schlafzimmer war schwarzer Rauch“, sagt er. An den Wänden habe er schwarze Spuren gesehen sowie auf dem Teppich, auf einer Bettdecke und an den Gardinen. Auf dem Boden habe er Überreste der Rakete gefunden. Ein paar Fetzen Papier habe er aus dem Fenster geworfen. Das Fenster sei zersprungen gewesen, auf dem Boden habe er Glasscherben gefunden. Gebrannt habe es aber nicht. Der Inhaber eines Kiosks gegenüber der Wohnung sagt ebenfalls als Zeuge aus. Der Angeklagte und seine Freunde hätten bei ihm Raketen gekauft und sie direkt abgefeuert. Er habe gesehen, wie die Tat passierte und wie einer der Begleiter des Angeklagten währenddessen filmte. Als die Rakete das Fenster durchschlug und in der Wohnung explodierte, habe er sich erschrocken: „Alle waren unter Schock, ich auch.“ Er habe sie angeschrien und gefragt, warum sie das getan hätten. „Dann sind sie abgehauen.“

Es sei ein Versehen gewesen

Nach der Tat veröffentlichte der Angeklagte Y. Videos, die auch Gegenstand der Ermittlungen sind. Auf einem dieser Videos ist zu sehen, wie Y. bei dem Mieter auf dem Sofa sitzt. Er habe am Tag danach bei seiner Familie angerufen, er wolle vorbeikommen, um sich zu entschuldigen. Wie Y. an die Nummer gekommen sei, weiß der Vierundfünfzigjährige nicht. Laut dem Kriminalkommissar, der die Ermittlungen leitete und auch als Zeuge aussagt, haben die Söhne des Wohnungsbesitzers einen Aufruf in den sozialen Medien gestartet. Mit Videoaufnahmen aus dem Kiosk gegenüber, die den Angeklagten in Begleitung zeigen, sollen sie nach Hinweisen gesucht haben. Der Angeklagte sei dann noch am selben Tag in Begleitung einiger Freunde bei A. vorbeigekommen. In dem Video blickt Y. abwechselnd in die Kamera und zu dem Mieter. Er entschuldigt sich: „Ich weiß, dass es falsch ist, und sage jedem, dass so etwas nicht geht.“ Er kenne Knallkörper und ihre Flugbahn nicht. In dem Video ist zu sehen, wie er den Kopf von A. küsst.

Ob ein Friedensrichter dabei war, weiß der Vierundfünfzigjährige nicht. „Das ist etwas schwer zu sagen, weil ich seine Freunde nicht kannte“, sagt er aus. Zuerst war A. skeptisch, doch dann habe er gemerkt, dass Y. nicht mit Absicht gehandelt habe, es sei ein Versehen gewesen. Der Angeklagte habe ihm auch angeboten, die entstandenen Kosten zu übernehmen, das habe er jedoch abgelehnt. Auch die Frage des Vorsitzenden Richters Raphael Neef, wieso er das gesagt habe, sagt A. nur: „Es war nichts Wertvolles.“ Den Teppich habe er entsorgt, die Kosten für die Reparatur des Fensters habe die Hausverwaltung übernommen. Der Angeklagte sei ein junger Mann und habe einen Fehler gemacht: „Er wollte seine Freude teilen, und ich hatte das Unglück.“ Er habe ihm einen väterlichen Rat gegeben: „Wenn du in ein fremdes Land gehst, sollst du so etwas nicht machen.“

Am 4. Januar war der Dreiundzwanzigjährige am Berliner Flughafen BER festgenommen worden, von wo er mutmaßlich ausreisen wollte. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Am ersten Prozesstag geht es auch um die Frage, ob der Beschuldigte versuchte, sich der Polizei zu stellen. Laut Aufzeichnungen der Polizei erschien er in der Nacht auf den 4. Januar, nach Ausschreibung seiner Fahndung, auf einer Polizeiwache. Laut dem Diensthabenden wollten er und sein Begleiter Informationen zu einer Straftat erhalten. Der Polizeibeamte habe aber nicht genau ver­stehen können, was man von ihm wissen wolle. Unklar ist derzeit noch, inwiefern die Rakete ein tatsächliches Risiko für einen Brand hätte darstellen können. Insgesamt sind vier Prozesstage angesetzt. Ein Urteil wird am 16. April erwartet.

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