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#Nahbar, gedankenvoll

„Nahbar, gedankenvoll“

Kaum zwanzig Jahre alt war Lars Vogt, als er sich 1990 der internationalen Konkurrenz beim Klavierwettbewerb in Leeds stellte. Den ersten Preis gewann er zwar nicht, da neigte sich die Jury mehr dem Portugiesen Artur Pizarro zu, aber er gewann die Sympathie des damals fünfunddreißigjährigen Dirigenten Simon Rattle, der mit seinem City of Birmingham Symphony Orchestra die jungen Pianisten in den Wertungsrunden mit Orchester zu begleiten hatte.

Wenig später brachten Vogt und Rattle ihre erste gemeinsame CD heraus, Vogts Debüt auf dem Plattenmarkt: die Klavierkonzerte von Robert Schumann und Edvard Grieg. Und sie inszenierten ihren Auftritt auf dem Plattencover als Bruch mit dem Image von klassischer Musik als Welt gesellschaftlicher Formalitäten und Ausdruck von sozialem Status: Beide zeigten sich nahbar und alltäglich im Pullover, ohne Frack. Ihr Musizieren war aber alles andere als achtlos, sondern auf ein empfindsames, nachdenkliches Miteinander aus. Überhaupt interessierte Vogt die Virtuosität als Moment des Kitzels nie. Wenn er einmal behauptet hat, Johannes Brahms stelle in seinem ersten Klavierkonzert Virtuosität nirgends aus, so ist das sicher übertrieben, denn auch bei Brahms gibt es solche Momente der Kraftbeweise und der Mutproben, mit denen der Einzelne gesteigerte Risikobereitschaft demonstriert. Doch Vogt interessierte weit mehr die Befähigung, mit anderen handeln, aufeinander reagieren zu können, als der Effekt zu glänzen.

Dass er Musik mehr als kommunikatives und soziales Handeln denn als Existenzform absturzgefährdeter Einsamkeit begriff, zeigte sich an seiner Liebe zur Kammermusik ebenso wie im Engagement für die Bildung von Kindern und Jugendlichen an den Schulen. Im Kraftwerk Heimbach in der Eifel gründete Vogt 1998 das Kammermusikfestival „Spannungen“, wo als Mitschnitte von den Konzerten ausgezeichnete Aufnahmen entstanden, darunter erst in jüngster Zeit das Dumky-Trio von Antonín Dvořák mit Vogt am Klavier, Christian Tetzlaff an der Violine und Tanja Tetzlaff am Cello, bei dem sich alle drei Solisten auf fesselnde Weise Zeit nehmen für das gemeinsame Versinken in Stimmungen, ins Gedankenvoll-Sein, wie Goethe gesagt hätte.

Kindern und Jugendlichen die Musik nahebringen

Sieben Jahre nach der Gründung des Festivals rief Vogt das Netzwerk „Rhapsody in School“ ins Leben, bei dem klassische Künstler für zwei Unterrichtsstunden in Schulen gehen, um Kindern und Jugendlichen durch die persönliche Begegnung Musik nahezubringen, was den kontinuierlichen Fachunterricht zwar nicht ersetzen, aber als intensiver Moment des Staunens, des Berührtwerdens, der Nahbarkeitserfahrung eine Begeisterung für Musik auslösen kann.

Anfang 2021 wurde bei Lars Vogt fortgeschrittener, bereits metastasierender Speiseröhrenkrebs diagnostiziert. Er sprach in Interviews offensiv über seine Krankheit, gab zwischen den Chemotherapien weiter Konzerte, nahm mit dem Orchestre de Paris, dessen Musikdirektor er – längst auch dirigierend – geworden war, noch die Klavierkonzerte von Felix Mendelssohn Bartholdy auf. Bei der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern prägte er die letzte Spielzeit als Artist in Residence, ließ sich noch einmal mit dem kolossal schweren zweiten Klavierkonzert von Brahms hören, sprang sogar als Dirigent für den erkrankten Mario Venzago mit Robert Schumanns zweiter Symphonie ein und absolvierte im April einen kompletten Zyklus mit allen fünf Klavierkonzerten von Ludwig van Beethoven.

Es nütze doch niemandem, wenn er ganz toll Klavier spielen könne, aber tot sei, scherzte er noch vor einem Jahr. Am Montagnachmittag ist Lars Vogt in einer Erlanger Klinik im Kreis seiner Familie gestorben, drei Tage vor seinem 52. Geburtstag.

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