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#Nichts wie raus aus dem Naturzustand

Nichts wie raus aus dem Naturzustand

Was ist Barbarei? Immanuel Kant bestimmte sie als „Gewalt, ohne Freiheit und Gesetz“. Das war abstrakt gesprochen und zielte auf die innere Verfassung der Staaten. Kant steht damit in einer langen Reihe politischer Philosophen, die ähnlich argumentierten. Bis heute brandmarkt das Wort kraftvoll geächtete Praktiken. Die Studie von Oliver Eberl legt ebenso klug wie nachdrücklich nahe, dass wir uns von dieser Rhetorik verabschieden sollten, da die zugrunde liegende Idee moralisch kontaminiert ist.

Eberl argumentiert präzise aus den Quellen. Sein Buch besticht durch Klarheit des Gedankengangs und Transparenz im Umgang mit der Ideengeschichte. Der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund, wo es um die weitreichenden Konsequenzen seiner historischen Befunde für die Gegenwart geht. Denn Eberl zeigt auf, wie sich sowohl Begründung als auch Kritik staatlicher Ordnung an einer Vorstellung von Barbarei ausgerichtet haben, die kolonialistisch geprägt war und es bis heute geblieben ist.

Fremde Gesellschaften wurden beinahe durchgängig abgewertet

Am einfachsten ist dies für die Klassiker des frühneuzeitlichen politischen Denkens nachzuweisen. Sie entwarfen in hochtönenden Worten und anschaulichen Bildern einen sogenannten „Naturzustand“. Man darf sich diesen Naturzustand nicht nur bei Hobbes als rechtlose Unordnung voller Gewalt und Furcht vorstellen. Das ist oft beschrieben und analysiert worden, ebenso wie seine Überwindung: „Staatsgründung als Zivilisationsgründung“ heißt die universelle Lösung. Sie holt die Menschen aus Not und Elend, Bürgerkrieg und Mangelwirtschaft.

Oliver Eberl: „Naturzustand und Barbarei“. Begründung und Kritik staatlicher Ordnung im Zeichen des Kolonialismus.


Oliver Eberl: „Naturzustand und Barbarei“. Begründung und Kritik staatlicher Ordnung im Zeichen des Kolonialismus.
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Bild: Hamburger Edition

Aber Hobbes schrieb dies nicht ohne Anschauung, und Eberl belegt, dass der Abstraktion von Naturzustand und Barbarei etwas zugrunde lag, das wir bisher übersehen und verdrängt haben: die interkulturelle Erfahrung der Entdeckung anderer Kontinente, Lebensweisen und Ordnungsvorstellungen. Aus Reiseberichten wurde ein Bild des „Anderen“ konstruiert, um das eigene politische Ordnungsmodell zu legitimieren. Dabei wurden andere Organisationsformen von Gesellschaft beinahe durchgängig abgewertet. Man hat ihnen ein Leben im Naturzustand angedichtet und sie an den Schreibtischen der politischen Philosophen geradezu niedergemacht.

Armseliges Leben, skandalöse Sozialbeziehungen, primitive Manieren

Eine interkulturelle Toleranz wie bei Montaigne blieb die Ausnahme. Dieser hatte ganz besonnen geurteilt, die Reiseberichte über die Fremden seien voller Übertreibungen. Wenn man als Leser diese Ausmalungen weglasse, zeige sich, dass „die Eingeborenen in deren Welt nichts Barbarisches oder Wildes an sich haben, oder doch nur insofern, als jeder das Barbarei nennt, was bei ihm ungebräuchlich ist“. Auch Rousseau verzichtete darauf, außereuropäische Völker kolonialistisch zu bewerten; stattdessen entdeckte er deren Freiheiten.

„Falsch“, rief hier die Mehrzahl der politischen Philosophen und führte an: Die außereuropäischen Fremden sind zweifellos Wilde oder eben Barbaren, ihr Leben ist armselig, die Sozialbeziehungen sind skandalös, die Manieren primitiv. Ihnen fehle, so die Vorstellung, jede Staatlichkeit, die sich Europa selbst geschaffen hatte, das in grauen Vorzeiten vermutlich selbst in einem Naturzustand existierte und diesen in Form von Krieg und Bürgerkrieg als Rückfall in die Barbarei immer wieder fürchten muss.

Die koloniale Wahrnehmung war eine gezielte Verzerrung

Vor allem aber begegnete der Naturzustand den Europäern angeblich auf deren Entdeckungs- und Eroberungsreisen im Sinne eines „Amerika, du hast es schlechter“. In Wahrheit wurden gegenläufige Wahrnehmungen ausgeblendet, stattdessen Erfindungen (wie Kannibalismus und kastrierende Frauen) ergänzt. „Die koloniale Wahrnehmung war kein Missverständnis, sondern eine gezielte Verzerrung“, schreibt Eberl.

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