#Zwischen Corona und Konfitüre
„Zwischen Corona und Konfitüre“
Der Münchner Viktualienmarkt ist der wohl berühmteste seiner Art. Wer hier arbeitet, hat das Ohr an der Welt. Umso entbehrungsreicher war für die Marktleute Corona, aber nicht für alle gleich. Hans Hollweck, 69, durfte auch im Lockdown weitermachen, weil er Lebensmittel verkauft. „Alles hausgemachte Ware, okay? Fruchtaufstriche, Chutneys, Sirups, Senfe. Keine Konservierungsmittel, keine Farbstoffe. Kein Glump. Okay?“ Auch Manuela Wilkerson, 56, eine Berühmtheit auf dem Markt, weil aus ihrem Wurststandl schon der Fernsehkoch Jamie Oliver Weiße und Rote rausgegeben hat, durfte ihre Ware verkaufen. Hat sie zeitweise trotzdem nicht gemacht. War ihr mit Blick auf die Gesundheit der Kundschaft und die schwer einzuhaltenden Abstandsregeln schlicht zu heikel. Am härtesten betroffen waren Leute wie Elke Fett. Sie verkauft „Duftschmankerl“ und überhaupt die schönen Dinge des Lebens. Sie musste dichtmachen. Und wenn sie dann doch mal wieder aufhaben durfte, waren es kaum zehn Prozent vom sonstigen – allerdings sehr stattlichen – Umsatz.
Was den Anfang der Pandemie betrifft, beschweren sich die drei nicht. Auch die Politiker seien da ja vor eine ganz neue Situation gestellt worden, sagt Wilkerson. Aber dann! Fett berichtet, sie habe gehört, wie Gesundheitsminister Jens Spahn Anfang September gesagt habe, mit dem Wissen von heute würde man den Einzelhandel nicht mehr schließen. Von wegen. „Ich hab für Tausende von Euro Weihnachtsware gekauft: Das durfte ich dann auf den Müll schmeißen.“ Die Stadt hat den Marktleuten die Standmiete gestundet. Hollweck, einst Spitzenkoch und Weltenbummler, merkte, dass ihm das auf Dauer nichts bringt. Er wollte seine Schuld zurückzahlen, aber ratenweise. Geht nicht, sagte die Verwaltung.
Was sie in der Pandemie vermissen, ist das, was sie eigentlich schon vorher vermisst haben: dass die Leute, die über sie entscheiden, nicht nur für schöne Fotos zum Markt kommen, sondern mit ihnen reden, damit sie wissen, worüber sie entscheiden. „Ganz am Anfang, als ich hier war“, sagt Hollweck, „also vor 30 Jahren, hatte ich einen Zuständigen vom Kreisverwaltungsreferat, der war Konditormeister. Der wusste, was Sache ist. Okay? Und heute kriegst du Leute, die kommen von der Schule. Die haben ein theoretisches Know-how, aber wie man es umsetzt, das wissen die nicht.“ Seit 30 Jahren werde sein Standl kontrolliert. Noch nie habe man seine Ware beanstandet – immer nur die Etiketten. Mal sei was zu klein geschrieben gewesen, mal was zu groß. Fett, die Vorsitzende der Interessengemeinschaft Viktualienmarkt (IGV) ist und damit viele Marktleute vertritt, sagt: „Das hat uns die Globalisierung gebracht. Aber jetzt werden wir ja wieder regional. Jetzt dürfen wir wieder draufschreiben: Marmelade selbst eingekocht. Wichtig, ganz wichtig – für unsere Umwelt, für alles. Der Hans macht die beste Marmelade, der kocht die ein, fertig, aus. Das spür ich doch, ob die Marille alt ist oder frisch.“ Dazu brauche es keine fingerdicke Konfitürenverordnung.
Frage an Fett und Hollweck, Wilkerson ist da schon wieder am Standl: Jetzt kommt ja die Bundestagswahl und Armin Laschet (CDU) verspricht, die Bürokratie abzubauen. Macht das nicht Hoffnung? Sie winken ab. Nichts werde sich ändern. „Zu feige sind sie“, sagt Hollweck. „Weil sie denken, ach, dann verlieren wir ja so und so viele Wähler.“ Fett: „So wird es auch beim Klimaschutz sein. Nichts wird passieren – immer erst, wenn’s brennt.“ Klimaschutz ist ihnen wichtig, zuletzt wurden auf dem Markt mehr als 40 Grad gemessen. Was sonst noch? Gendern? „Hab ich keine Zeit für so einen Schmarrn“, sagt Fett. Hollweck: „Ich sage nur ein Wort – Bürgerversicherung.“ Und dann doch noch ein zweites: Tokio. „Ich war in Tokio, okay? Es gibt keinen einzigen Mülleimer in Tokio. Weil jeder ist da verpflichtet, seinen Dreck mit heimzunehmen. Hier in München ist das anscheinend nicht möglich – warum nicht? Saustall.“
Welche Partei werden sie wählen? Die Grünen kommen nicht gut weg, obwohl Fett selbst eine Urgrüne war, die mit Jutta Ditfurth demonstriert hat. Die CSU unter Markus Söder? „Der ist hier durch“, sagt Fett. „Der ist nur gut angesehen bei allen, die aus Köln oder Hamburg kommen.“ Die Freien Wähler finden sie ganz gut, Fett findet noch mehr an der FDP. Im Grunde vertrauen sie aber vor allem auf sich selbst. Außer dem Senfstandl habe niemand wegen der Pandemie aufgeben müssen, sagt Fett. Darauf sei sie stolz. Sie ist 77, absolute Vollblutmarktfrau. Ein paar Jahre will sie auf jeden Fall noch machen, denn so wie jetzt soll ihr Traum nicht enden. „Der Markt hat zwei Weltkriege überlebt, der wird auch Corona überleben.“
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