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#Warum Freiheit keine Obsession werden darf

„Die Gedankenfreiheit haben wir jetzt“, hat Karl Kraus einmal ge­schrieben, „jetzt brauchen wir nur noch Gedanken.“ Das rührt an einen wunden Punkt dort, wo der Gedanke die Freiheit selbst sein soll. Seit einiger Zeit wird in ihrem Namen das Leben, das wir führen, als ein staatlich kujoniertes Leben beschrieben. Der Mensch ist frei, liegt aber überall in politischen Ketten. Überall trifft er auf Ver­bote, tatsächliche oder angekündigte. Er darf nicht bauen und nicht heizen, wie er möchte, nicht rasen, wie schnell, und nicht rauchen, wo er will.

In seinem Buch „Noch wach?“ hat Benjamin von Stuckrad-Barre seinen hochmögenden Freund so beschrieben. Freiheit sei dessen überall betontes Lebensthema, „er hatte geradezu eine Freiheitsobsession, was in sich irgendwie unfrei wirkte, aber auch dafür liebte ich ihn natürlich“. Wir dürfen in diesem Freund, dem jeder Regelverstoß, außer dem der Klimakleber, eine urtümliche Freiheitsfreude ist, den Chef von Springer, Mathias Döpfner, erkennen.

Er hat in seinem Haus sogar eine „Chefreporterin Freiheit“ etabliert, als ließen sich Reportagen über die Freiheit schreiben. Das tut sie denn auch gar nicht, sondern beklagt allwöchentlich, dass wir in Unfreiheit leben und unfrei denken. Frei hingegen sei, wem die anderen egal sind. Frei lebt man nur im Minimalstaat, beispielsweise ohne Energiegesetze und in der Hoffnung auf technologische Originalgenies wie Elon Musk. Frei lebt man erst, wenn die gesellschaftliche Ordnung sich an den Internetmilliardär Peter Thiel und die Milliardärssouffleuse Ayn Rand hält, also die Existenz einer Gesellschaft leugnet und nur Individuen kennt.

Die Politik wollen sie Firmen und großen Individuen überlassen

Wer diesem tatsächlich unfrei wirkenden, permanenten Fahnenappell nicht zustimmt, beweist gerade dadurch, unfrei zu sein. Das gilt bei Thiel und Rand schon für Anhänger der Demokratie, die mit Freiheit unvereinbar sei. Die Politik soll man den Firmen überlassen, die von großen Individuen geführt werden. Wahlen, Volksentscheide gar? Da stimmen doch nur die Mittelmäßigen (und Frauen und Schwarzen und Sozialhilfeempfänger und Ossis) ab. Der amerikanische Philosoph Jason Brennan hat folgerichtig den Übergang zu einer „Epistokratie“ vorgeschlagen, in der man sich für Wahlen erst durch eine erfolgreiche Prüfung in Mi­kroökonomie qualifiziert.

Ersichtlich ist das Daherreden also vor keiner Verrücktheit mehr geschützt, hat es erst einmal die libertären Dämpfe inhaliert. Zu ihnen gehört es, nicht zwischen Freiheit und dem Ausagieren der eigenen Handlungsimpulse zu unterscheiden. Dass unfrei auch sein könnte, wer seinen Verstand seinen Affekten unterordnet, kommt als Gedanke nicht auf. Sind Freiheit und Rücksichtslosigkeit denn dasselbe? Wer frei lebe, wird entgegnet, trage das Risiko, mit seinem Handeln zu scheitern. Doch was ist mit den Risiken, die von den anderen getragen werden, wenn jemand mit 200 km/h auf der linken Spur heranrast? Was mit den epidemischen Risiken? Was mit den Schäden, die nicht von denen getragen werden, die sie verursachen?

Steuern gelten als „legalisierter Raub“

Gewiss, es gibt zu viele Gesetze, zu viel Bürokratie, zu viel Staat. Doch die Libertären wirken intellektuell verwahrlost, wenn sie deshalb in jeglichem Staat, außer dem Donald Trumps, eine Tyrannei erkennen wollen. Begriffe wie „Erziehungsdiktatur“ bezeugen das Unvermögen, zwischen einem Werbeverbot für Süßwaren und der gewalttätigen Unterdrückung von Opposition zu unterscheiden. Die Behauptung, Steuern seien „legalisierter Raub“, auch so ein Klassiker libertärer Begriffsverwirrung, setzt sich der Rückfrage aus, wie öffentliche Güter anders finanziert werden sollen. Durch Gaben oder Gebühren? Überdies wären dann Schulen legalisierte Körperverletzung.

E-Mails, die nachts um halb drei bei unbeleuchtetem Geisteszustand geschrieben werden, kann man solche Redensarten durchgehen lassen. Es fehlen ihren Schreibern einfach die Freunde, die sagen: Lass mal gut sein, lies, statt der Romane von Rand, ein durchdachtes Buch zu diesen Fragen, aber schlaf dich vorher erst einmal aus.

Doch es bleibt ja nicht bei den E-Mails. Die Mythologie eines wünschbaren Gemeinwesens, das nur Märkte, große Lenker und eine Polizei kennt, die das Eigentum bewacht, wirkt auch tagsüber. Das Gefängnis, in dem wir angeblich leben, heißt dann Deutschland. Dort verstünden es die Bürger noch weniger als andernorts aus der Freiheit heraus zu leben. Dort sähen sie in ihr nur die Risiken, nicht das Recht, sich möglichst ungehemmt zu entfalten. Aber merkwürdig, das böse Tempolimit haben die Amerikaner, die Briten und die Schweizer. Und die glücklichsten Menschen leben, Umfragen zufolge, in den Wohlfahrtsstaaten Skandinaviens. Bevor jetzt einer sagt, dass sie vielleicht glücklich, aber unfrei sind: Das Gefühl, frei zu leben, wurde mit abgefragt.

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